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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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die nur in der Stille und im Alleinsein erlosch und sich
beruhigte.
    Mit der Zeit verfiel der Hodscha
immer mehr in eine gesetzte Nachdenklichkeit, in der er niemand brauchte,
sondern ihm alle Menschen eher zur Last fielen und ihn störten, die müßigen
Städter wie die Kundschaft, seine junge Frau wie diese Kinderschar, von der
das Haus widerhallte. Schon vor Sonnenaufgang floh er aus dem Hause in den
Laden und öffnete ihn früher als alle anderen Kaufleute. Hier verrichtete er
auch sein Morgengebet. Hierher brachten sie ihm auch das Mittagessen. Und wenn
ihn tagsüber Gespräche, Vorübergehende und Geschäfte langweilten, dann schloß
er seinen Laden und zog sich in ein kleines Zimmerchen hinter dem Laden zurück,
das er Tabut, den Sarg, nannte. Dies war ein abgelegener Raum, eng, niedrig und
finster; der Hodscha füllte ihn fast ganz aus, wenn er sich dahin zurückzog.
Da war eine kleine Sitzbank, auf der er mit untergeschlagenen Beinen sitzen
konnte, einige Regale mit leeren Schachteln, alten Gewichten und allen
möglichen Kleinigkeiten, für die im Laden kein Platz war. Aus diesem finsteren,
engen Raum hörte der Hodscha durch die dünne Ladenwand die Geräusche des
Lebens auf dem Marktplatz, das Trappeln der Pferde und die Rufe der Verkäufer.
Alles dies drang zu ihm wie aus einer anderen Welt. Er hörte auch einzelne
Vorübergehende, die vor seinem geschlossenen Laden stehen blieben und boshafte
Bemerkungen und Scherze über ihn machten. Aber er hörte sie und vergaß sie im
gleichen Augenblick. Denn er war, verborgen zwischen diesen paar Brettern,
durch seine Gedanken völlig gefeit gegen alles, was dieses Leben zu bringen
vermochte, das, seiner Auffassung nach, seit langem verderbt war und auf Ab
wegen verlief. Hier fand sich der Hodscha wieder und überließ sich seinen
Gedanken über das Geschick der Welt und den Lauf der menschlichen Dinge und
vergaß darüber alles übrige: die Stadt, die Sorgen über Schulden und schlechte
Hintersassen, seine zu junge Frau, deren Jugend und Schönheit sich schnell in
dumme, boshafte Zanksucht verwandelten, und diese Kinderschar, die zu erhalten
auch für die Kasse des Sultans schwer gewesen wäre und an die er nur mit
Schrecken dachte.
    Wenn er sich dort gesammelt und
erholt hatte, dann öffnete der Hodscha seinen Laden wieder, als sei er von
irgendwoher zurückgekehrt.
    So lauschte er auch jetzt auf das
leere Gespräch dieser beiden Nachbarn.
    »Da siehst du, was die Zeit mit
Gottes Willen vermag; auch den Stein frißt sie an, wie der Stiefel den Strumpf.
Aber der Schwabe läßt das nicht zu, nein, er flickt sofort, was zerbrochen«,
philosophierte der erste, ein bekannter Nichtstuer aus der Stadt, und schlürfte
Alihodschas Kaffee.
    »Geh doch, du Dummkopf, solange die
Drina Drina ist, wäre auch die Brücke Brücke gewesen, und hätte man sie auch
nicht angerührt, hätte sie doch gehalten, solange es ihr bestimmt ist. Die
vielen Kosten und die ganze Unruhe sind ganz umsonst«, sagte der zweite Gast,
der dem gleichen Gewerbe nachging wie der erste.
    Des langen und breiten hätten sie
ihre müßigen Betrachtungen noch fortgesetzt, wäre nicht Alihodscha
dazwischengefahren.
    »Und ich sage euch, es ist nicht
gut, daß sie die Brücke anrühren, und nichts Gutes wird bei diesem Ausbessern
herauskommen, ihr werdet es sehen; so wie sie heute ausbessern, werden sie
morgen zerstören. Mir hat der verstorbene Mullah Ibrahim gesagt, er habe in den
Büchern gelesen, daß man fließendes Wasser nicht stören, es ableiten und
seinen Lauf ändern soll, und sei es auch nur auf einen Tag oder auf eine
Stunde, denn das ist große Sünde. Aber der Schwabe findet keine Ruhe, wenn er
nicht an etwas herumklopft und -bastelt. Sogar den Augapfel würden sie
anrühren! Die Erde selbst würden sie umdrehen, wenn sie nur könnten.«
    Der erste der beiden Müßiggänger
meinte, daß es letzten Endes nicht schlecht sei, wenn die Schwaben auch die
Brücke ausbesserten. Wenn es auch ihr Leben nicht verlängere, so werde es ihr
jedenfalls auch nicht schaden.
    »Woher weißt du denn, daß es ihr
nichts schaden wird?« fiel ihm der Hodscha scharf ins Wort. »Wer sagt denn das?
Weißt du nicht, daß ein einziges Wort Festungen zerstören kann, wieviel mehr
erst solch ein Geschrei. Auf ein Wort wurde diese ganze Gotteswelt gegründet.
Wärest du schreibkundig und belesen, wie du es nicht bist, dann wüßtest du,
daß dies kein Bauwerk ist wie tausend andere, sondern eines von jenen, die zu
Ehren

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