Ivo Andric
den
Ecken stehen große Blechfässer mit Petroleum, Lack, Terpentin und Firnis.
Hier herrscht mitten im Sommer Kälte und am Tage Dämmerung.
Der größte Teil der Ware aber
befindet sich in den Räumen, die hinter dem Laden liegen und in die eine
niedrige Öffnung mit eiserner Tür führt. Da ist die schwere Ware: eiserne Öfen,
Schienen, Träger, Pflugscharen, Brechstangen und anderes schweres Werkzeug.
Alles ist zu hohen Stapeln aufgeschichtet, so daß man zwischen der Ware nur auf
schmalen Wegen wie zwischen hohen Wänden hindurchgeht. Hier herrscht ewige
Dunkelheit, und man geht nicht ohne Lampe hinein.
Aus den dicken Mauern, dem
Steinfußboden und den aufgeschichteten Eisenwaren weht ein eisiger und
scharfer Hauch von Stein und Metall, der sich weder vertreiben noch erwärmen
läßt. Dieser Hauch macht aus den frisch aussehenden, lebhaften Lehrlingen in
ein paar Jahren schweigsame, blasse und aufgedunsene, aber kluge, sparsame und
ausdauernde Handlungsgehilfen. Er ist zweifellos auch den Generationen der
Eigentümer schwer und schädlich, aber er ist ihnen zugleich auch lieb und teuer
als Gefühl des Besitzes, Gedanke an Verdienst und Quelle des Reichtums.
Der Mann, der jetzt im vorderen Teil
dieses kalten und dämmerigen Magazins an einem kleinen Tisch neben einem
großen stählernen Geldschrank, Marke Wertheim, sitzt, gleicht nicht im
geringsten jenem stürmischen und lebhaften Santo, der einst, vor dreißig
Jahren, so nachdrücklich »Rum für Tschorkan!« zu rufen vermochte. Die Jahre und
die Arbeit im Magazin haben ihn verändert. Er ist dick und schwerfällig, gelb
im Gesicht; um die Augen hat er dunkle Ringe, die bis auf die halbe Wange
reichen; sein Augenlicht hat nachgelassen, seine schwarzen und stark
hervorstehenden Augen, die hinter einer Brille mit dikken Gläsern und
Metallrahmen hervorblicken, haben einen strengen und erschreckten Ausdruck.
Noch immer trägt er einen Fez von kirschroter Farbe, als einzigen Überrest der
einstigen türkischen Tracht. Sein Vater, Kaufmann Mento Papo, ein kleiner und
weißhaariger Greis in den Achtzigern, hält sich noch ziemlich gut, nur auf
seine Augen kann er sich nicht mehr verlassen. Wenn der Tag sonnig ist, dann
kommt er in das Magazin. Mit seinen tränenden Augen, die hinter den dicken
Gläsern aussehen, als wollten sie jeden Augenblick überlaufen, betrachtet er
den Sohn an der Kasse und den Enkel am Ladentisch, atmet jenen Hauch des
Magazins ein und geht dann, mit der rechten Hand auf die Schulter seines
zehnjährigen Urenkels gestützt, wieder nach Hause.
Santo hat sechs Töchter und fünf
Söhne, von denen die meisten verheiratet sind. Sein ältester Sohn, Rafo, hat
schon erwachsene Kinder und hilft dem Vater im Geschäft. Einer der Söhne
Rafos, der den Namen des Großvaters trägt, geht bereits auf das Gymnasium in
Sarajewo. Er ist ein blasser, kurzsichtiger und schlanker Junge, der schon
seit seinem achten Jahre bei Schulfeiern die humoristischen Gedichte des
Dichters Zmaj vollendet deklamiert, sonst schlecht lernt, weder gern in die
Synagoge geht noch in den Ferien im großväterlichen Magazin helfen mag, aber
erzählt, er wolle Schauspieler oder irgend etwas anderes Berühmtes und
Ungewöhnliches werden.
Kaufmann Santo sitzt, über das
große, schon ziemlich abgegriffene und fettige Rechnungsbuch mit
alphabetischem Register gebeugt, und neben ihm hockt auf einer leeren
Nagelkiste der Bauer Ibro Tschemalowitsch aus Usawnitza. Kaufmann Santo rechnet
zusammen, wieviel Ibro ihm bereits schuldet und wieviel er demgemäß und unter
welchen Bedingungen jetzt als neues Darlehen erhalten könnte.
»Cincuenta, cincuenta y ocho...
cincuenta y ocho, sesenta y tres...«, flüstert
Kaufmann Santo, in altspanischer Sprache zusammenzählend.
Der Bauer sieht ihn voll besorgter
Erwartung an, als handle es sich um ein Teufelsspiel und nicht um eine
Rechnung, die er auf Heller und Pfennig kennt und sogar im Traum im Kopfe hat.
Sobald Santo zusammengerechnet hat und den Betrag der Schuld mit Zinsen nennt,
brummt der Bauer langsam durch die Zähne: »So viel wird es wohl sein?«, nur um
dadurch Zeit zu gewinnen, seine Rechnung mit der von Santo zu vergleichen.
»So ist es, Ibraga, und nicht anders«,
antwortet ihm Santo mit seiner für solche Fälle geheiligten Formel.
Nachdem sie sich so über den Stand
der jetzigen Schuld einig geworden sind, muß der Bauer nun um ein neues
Darlehen nachsuchen und Santo sich über seine Möglichkeiten und Bedingungen
äußern.
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