Ivo Andric
schwitzt der grüne stählerne Geldschrank, und Santo weitet mit
dem Zeigefinger das Hemd um den fetten, gelben und weichen Hals und putzt mit
dem Taschentuch die beschlagenen Gläser seiner Brille.
So kündigt sich dieser Sommer an.
Dennoch fiel auf den Beginn dieses
gesegneten Sommers ein kurzer Schatten der Angst und Trauer. Mit dem ersten Vorfrühling
brach in Uwatz, einer kleinen Ortschaft an der ehemaligen
türkisch-österreichischen und jetzt serbisch-österreichischen Grenze, eine
Bauchtyphusepidemie aus. Da der Ort an der Grenze lag und zwei Typhusfälle in
der Gendarmeriekaserne selbst auftraten, reiste der Wischegrader Militärarzt
Dr. Balasch mit einem Sanitäter und den notwendigen Medikamenten nach Uwatz.
Der Arzt unternahm sofort geschickt und entschlossen alles Notwendige, um die
Kranken abzusondern, und beaufsichtigte selbst ihre Pflege. So starben von
fünfzehn Erkrankten nur zwei, die Krankheit aber blieb auf das Dorf Uwatz beschränkt
und wurde schon in den Anfängen unterdrückt. Der letzte Erkrankungsfall war Dr.
Balasch selbst. Unerklärlich blieb, wie gerade er sich anstecken konnte; die
kurze Dauer der Krankheit, unerwartete Komplikationen und ein plötzlicher Tod
– das alles trug den Stempel außergewöhnlicher Tragik.
Wegen Ansteckungsgefahr mußte der
junge Arzt in Uwatz beigesetzt werden. Frau Oberst Bauer mit ihrem Mann und
noch einige Offiziere wohnten der Beerdigung bei. Sie veranlaßte, daß auf dem
Grabe des Arztes ein Denkstein aus grob behauenem Stein errichtet wurde. Sofort
danach aber verließ sie die Stadt und ihren Mann. In der Stadt erzählte man,
sie sei in ein Sanatorium bei Wien gegangen. Das heißt, die Wischegrader Mädchen
flüsterten es einander zu, die Erwachsenen aber vergaßen Arzt wie Obristenfrau,
sobald alle Gefahr vorüber und alle Maßnahmen wegen der Epidemie aufgehoben
waren. Unsere unerfahrenen und einfachen Mädchen wußten nicht recht, was ein
Sanatorium ist, aber sie wußten sehr wohl, was es bedeutet, wenn zwei Menschen auf
Straßen und Hängen so einherwandern, wie es bis vor kurzem der Arzt und die
Frau des Obersten taten. Und wenn sie dieses fremde Wort in ihren vertraulichen
Mädchenunterhaltungen über das unglückliche Paar gebrauchten, stellten sie
sich das, was man Sanatorium nennt, gern als einen geheimen, fernen und
traurigen Ort vor, an dem schöne und sündige Frauen für ihre unerlaubte Liebe
büßen.
Aber in diesem reichen und
glänzenden Sommer wuchs und reifte es auf den Feldern und Hügeln um die Stadt.
Abends waren die Fenster im Offizierskasino über dem Fluß neben der Brücke
hell erleuchtet und weit geöffnet wie im vorigen Sommer, nur drang aus ihnen
nicht mehr das Spiel von Violine und Klavier. An seinem Tisch, unter einigen
älteren Offizieren, saß Oberst Bauer, gutmütig, lächelnd und schwitzend von
sommerlicher Hitze und Rotwein.
Auf der Kapija saßen in der warmen
Nacht die jungen Wischegrader Burschen. Das Ende des Juni kam heran, und man
erwartete, wie jeden Sommer, die Schüler und Studenten. In solchen Nächten
schien es auf der Kapija, als stehe die Zeit still, während das Leben unendlich
reich und leicht weiterfloß und brauste, so, daß es sich nicht absehen ließ,
wie lange es so andauern und wachsen würde.
Die Hauptstraßen waren jetzt auch in
den Nachtstunden erleuchtet, denn schon im Frühjahr hatte die Stadt
elektrisches Licht bekommen. Vor einem Jahr war am Fluß, zwei Kilometer von der
Stadt entfernt, ein elektrisches Sägewerk und neben ihm eine Fabrik mit
österreichischem Kapital errichtet worden, die die Fichtenholzabfälle
verarbeitete, aus ihnen Terpentin zog und gleichzeitig Kolophonium erzeugte.
Die Fabrik schloß mit der Stadtverwaltung einen Vertrag, daß sie aus ihrem
Kraftwerk auch die Wischegrader Straßen beleuchten würde. So verschwanden die
grünen Laternen mit den Petroleumlampen und der lange Ferhat, der sie anzündete
und reinigte. Die Hauptstraße, die durch die ganze Stadt von der Brücke bis
zum neuen Viertel lief, war mit Bogenlampen aus weißem Milchglas beleuchtet
und die Nebenstraßen, die links und rechts von ihr abzweigten und sich um den
Bikawatz wanden oder zum Mejdan und Okolischte anstiegen, mit einfachen kleinen
Glühlampen. Zwischen diesen Reihen gleichmäßiger Lichter erstreckten sich
unregelmäßige dunkle Flächen. Das waren die Höfe und ausgedehnten Gärten an
den Hängen.
In einem dieser dunklen Gärten saßen
Zorka, die Lehrerin, und Nikola
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