Ivo Andric
stand gut. Nach einem Jahrzehnt der
Krisen und Erschütterungen hoffte das Volk wenigstens auf eine Windstille und
ein gutes Jahr, das in jeder Hinsicht den Schaden und das Unheil der früheren
wieder gutgemacht hätte. (Die schlimmste und tragischste Schwäche von allen
Schwächen der Menschen ist zweifellos seine völlige Unfähigkeit, vorauszuahnen,
die im allgemeinen Widerspruch zu seinen vielen Gaben, Künsten und seinem
Wissen steht.)
Ein solches Ausnahmejahr mit einem
besonders glücklichen und günstigen gegenseitigen Zusammenwirken von Sonnenwärme
und Erdfeuchte war angebrochen, da diese breite Wischegrader Niederung vor
Überfluß an Kraft und allgemeinem Bedürfnis, Frucht zu tragen, erbebte. Die
Erde schwoll auf, und alles, was in ihr noch lebte, das keimte auf, trieb
Knospen, setzte Blätter an und trug hundertfache Frucht. Förmlich sah man diesen
Atem der Fruchtbarkeit, wie er als warmer, bläulicher Dunst über jeder Furche
und jeder Scholle zitterte. Kühe und Ziegen spreizten die Hinterbeine und
gingen schwer vor strotzend prallen Eutern. Die Weißfische, die jedes Jahr mit
Beginn des Sommers in Scharen den Rsaw herabkommen, um an seiner Mündung zu
laichen, traten in solchen Mengen auf, daß sie die Kinder aus den Untiefen mit
kleinen Eimern zusammenschaufelten und auf dem Ufer ausschütteten. Auch der
poröse Stein in der Brücke sog sich voll und strotzte, wie lebend, vor Kraft
und Überfluß, die aus der Erde hervordrangen und über der ganzen Stadt wie eine
freudige Glut schwebten, in der alles schneller atmete und lebhafter wucherte.
Nicht häufig sind solche Sommer in
der Wischegrader Niederung. Aber wenn einer von ihnen kommt, dann vergessen
die Menschen alles gewesene Übel und denken nicht an das, was noch kommen mag,
sondern leben, selbst nur ein Teil in diesem Spiel der Feuchtigkeit und Wärme
und der drängenden Säfte, das verdreifachte Leben dieser Niederung, auf die
sich der Segen der Fruchtbarkeit herniedergesenkt hat.
Auch der Bauer, der immer einen
Anlaß findet, über etwas zu klagen, muß zugeben, daß das Jahr gut wird, nur
fügt er bei jedem Lobeswort hinzu: »Wenn es so bleibt ...« Die Städter stürzten
sich damals kopfüber in die Geschäfte und tauchten leidenschaftlich in ihnen
wie Bienen und Hummeln in den Blütenkelchen unter. Sie gehen auf die
umliegenden Dörfer, um auf das Getreide auf dem Halm und die Pflaumen im
Fruchtknoten ein Angeld zu geben. Verwirrt durch diesen Ansturm gerissener
Kundschaft und durch den großen und ungewöhnlichen Ertrag, steht der Bauer vor
den Obstbäumen, die sich schon unter ihrer Last biegen, oder vor dem wogenden
Acker und kann gegenüber dem Städter, der sich zu ihm hinausbemüht hat, nicht
vorsichtig und zurückhaltend genug sein. Diese Vorsicht und diese
Zurückhaltung aber geben seinem Gesicht einen angestrengten und besorgten
Ausdruck, der wie ein Zwillingsbruder jener betrübten Maske gleicht, die die
Gesichter der Bauern in den Jahren der Mißernte tragen.
Zu den größeren und stärkeren Kaufherren
kommt der Bauer selbst ins Haus. Der Laden von Kaufmann Pawle Rankowitsch ist
an Markttagen voller Bauern, die Geld brauchen. So ist es auch der Laden des
Kaufmanns Santo Papo, der schon seit langem der erste unter den Wischegrader
Juden ist. (Denn wenn es auch schon seit vielen Jahren Banken und die
Möglichkeit von Hypothekenkrediten gibt, so lieben es doch die Bauern, besonders
die älteren, Geld auf alte Art bei den städtischen Kaufherren aufzunehmen, bei
denen sie ihre Ware kaufen und bei denen schon ihre Väter Geld aufnahmen.)
Kaufmann Santos Laden und Magazin
ist eines der höchsten und festesten am Wischegrader Markt. Es ist gebaut aus
festem Stein, mit dicken Mauern und einem Fußboden aus Steinplatten. Die
schweren Türen und die Fensterläden sind aus Schmiedeeisen, und an den hohen
und schmalen Fenstern sind starke und dichte Gitter.
Der vordere Teil des Magazins dient
als Laden. An den Wänden sind tiefe Holzregale voller Emailgeschirr. An der
Decke, die ungewöhnlich hoch ist, so daß sie sich in der Dunkelheit verliert,
hängt die leichtere Ware, Lampen in allen Größen, Kaffeetöpfe, dann Käfige,
Mäusefallen und andere Gegenstände aus Drahtgeflecht. Alles das hängt,
zusammengebunden zu großen Trauben. Am langen Ladentisch stehen aufgehäuft Kisten
mit Nägeln, Säcke mit Zement, Gips und verschiedenen Farben; Hacken, Schaufeln
und Spitzhacken ohne Stiel sind auf Draht zu schweren Ketten aufgereiht. In
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