Ivo Andric
Aber das geht weder leicht noch schnell. Zwischen ihnen entspinnt sich
nun ein Gespräch, das bis in die Kleinigkeiten den Gesprächen gleicht, die der
Vater dieses Ibro mit Santos Vater Mento vor fünfzig Jahren an der gleichen
Stelle um die Erntezeit führte. Das eigentliche Hauptthema des Gespräches muß
in einem Wortschwall vorgebracht werden, der an und für sich nichts bedeutet
und völlig überflüssig, ja sogar sinnlos erscheint. Ein Uneingeweihter, der sie
sähe und ihnen zufällig zuhörte, würde oft meinen, daß sich das Gespräch überhaupt
nicht um Geld und Darlehen dreht. So wenigstens erscheint es zeitweise.
»Die Pflaumen werden gut, und auch
das andere Obst hat gut angesetzt, wie in keinem anderen Kreis«, sagt Santo,
»es wird ein Jahr, wie es lange nicht gewesen ist.«
»So ist es, Gott sei Dank, alles ist
gut gewachsen: gebe Allah, daß es so bleibt, dann gibt es Obst und Brot; wir
werden keinen Mangel leiden. Aber wer weiß, wie die Preise werden«, sagt der
Bauer besorgt, während er mit dem Daumen die Naht seiner Hose aus grobem grünem
Stoff reibt und Santo von unten herauf anblickt.
»Jetzt weiß man das noch nicht, aber
wenn du es nach Wischegrad bringst, dann wird man es wissen. Du kennst doch
das Wort: Der Preis liegt in der Hand des Besitzers.«
»So ist es, wenn Gott es so bleiben
und reif werden läßt«, wendet der Bauer wieder ein.
»Ja, ohne Gottes Willen erntet man
natürlich nicht; und wenn der Mensch sich Tag und Nacht damit plagte, es hilft
ihm alles nichts, wenn Gottes Segen fehlt«, fällt Santo ein und zeigt mit der
Hand in die Höhe, aus der dieser Segen kommen soll, irgendwo über der hohen
und schwarzen Ladendecke, von der blecherne Stallaternen in allen Größen und
andere Kleinwaren in Bündeln herunterhängen.
»Es nützt nichts; bei Gott, du hast
recht«, seufzt Ibro. »Der Mensch pflanzt und sät, aber es ist umsonst, beim
großen und einzigen Gott, es ist, als ließe man es vom Wasser forttreiben;
magst du auch umgraben, jäten, beschneiden und Unkraut ausreißen. Es hilft
nichts! Wenn es nicht geschrieben steht, dann siehst du davon keinen Nutzen.
Wenn aber Gott will, daß die heurige Ernte gut wird, dann wird niemand dabei zu
kurz kommen, der Mensch wird seine Schulden bezahlen können und wieder neues
Geld aufnehmen. Gott soll uns nur Gesundheit geben.«
»Ja ja, Gesundheit vor allem. über
die Gesundheit geht nichts. So ist nun einmal dieser eitle Mensch: gib ihm
alles, und nimm ihm die Gesundheit, so ist es, als ob du ihm nichts gegeben
hättest«, versichert Santo und wendet das Gespräch völlig in diese Richtung.
Dann äußert auch der Bauer seine
Ansichten über die Gesundheit, die ebenso allgemein und bekannt sind wie die
Santos. Und für einen Augenblick scheint es, als verlöre sich das ganze
Gespräch in Bedeutungslosigkeiten und Gemeinplätzen. Aber im passenden
Augenblick kehrt es dennoch, wie nach einem uralten Zeremoniell, zum
Ausgangspunkt zurück. Erst dann beginnt das Verhandeln über das neue Darlehen,
über die Höhe der Summe, die Zinsen, über Frist und Art der Abzahlung. Lange
reden sie, bald lebhaft, bald ruhig und besorgt, am Ende aber einigen sie sich
und schließen ab. Dann steht Santo auf, zieht die Schlüssel an der Kette aus
der Tasche hervor und schließt, ohne sie von der Kette zu lösen, mit ihnen den
Geldschrank auf, der zunächst knackt, dann sich langsam und feierlich öffnet
und sich wie alle Geldschränke mit jenem leisen metallischen Geräusch, wie mit
einem Ausatmen, schließt. Er zählt dem Bauern das Geld auf, bis auf den letzten
kupfernen Heller, alles gleichmäßig sorgsam und vorsichtig, irgendwie
traurig-feierlich. Und dann ruft er, aber viel lebhafter, mit veränderter
Stimme:
»Nun, ist es dir so recht und
genehm, Ibraga?«
»Ja, das ist es«, sagt der Bauer
leise und nachdenklich.
»Möge Gott es dir nützlich und
glückbringend sein lassen! Und in Gesundheit und Freundschaft wollen wir uns
wiedersehen«, sagt Santo schon völlig lebhaft und heiter. Und er schickt den
Enkel, vom Kaffeeverkäufer gegenüber zwei Kaffee zu holen, »einen bitteren,
einen besonders süßen«.
Der nächste Bauer aber wartet schon
vor dem Laden, um für das gleiche Geschäft und ähnliche Rechnungen an die Reihe
zu kommen.
Mit diesen Bauern und ihren
Geldgeschäften für die kommende Ernte dringt bis in die dämmerige Tiefe von
Santos Magazin der warme und schwere Dunst des außergewöhnlich fruchtbaren
Jahres. Von ihm
Weitere Kostenlose Bücher