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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Brücke oder auf
dem Markt so lange stehen bleiben, bis dort vorn wieder Luft geschaffen war.
Verstaubt, erhitzt und heiser von Schreien und Wut, ritten die Feldwebel
zwischen den Wagen und Packpferden hindurch, gaben mit den Händen verzweifelte
Zeichen und fluchten in allen Sprachen der österreichisch-ungarischen Monarchie
auf alle Heiligen aller anerkannten Konfessionen.
    Am frühen Morgen des vierten oder
fünften Tages, als die Brücke gerade wieder so mit Trossen verstopft war, die
nur langsam durch die enge Stadt weiterrückten, ließ sich plötzlich ein
scharfes und ungewöhnliches Pfeifen über der Stadt hören, und mitten auf der
Brücke, unmittelbar neben der Kapija, schlug eine Granate auf der steinernen
Einfassung ein. Eisen- und Steinsplitter trafen Pferde und Menschen, es
entstand ein Gedränge, die Pferde bäumten sich auf, und eine allgemeine Flucht
setzte ein. Die einen flüchteten vorwärts in die Stadt, die anderen zurück auf
dem Weg, den sie gekommen waren. Sofort schlugen noch drei Granaten ein, zwei
im Fluß und eine wiederum unter den zusammengedrängten Menschen auf der Brücke.
Im Handumdrehen war die Brücke leer; auf dem freigewordenen Raum sah man wie
dunkle Flecken umgestürzte Wagen, tote Pferde und Menschen. Von den Butkower
Felsen meldete sich die österreichische Feldartillerie und begann, die
serbische Gebirgsbatterie zu suchen, die jetzt die versprengten Trosse zu beiden
Seiten der Brücke unter Schrapnellfeuer nahm.
    Seit diesem Tage beschoß die
Gebirgsbatterie vom Panos ständig die Brücke und die Kaserne neben ihr. Nach
einigen Tagen, wiederum des Morgens, hörte man von Osten, aus der Gegend von
Golesch, ein neues Geräusch. Die Abschüsse klangen ferner und tiefer, und die
Granaten heulten schwerer über die Stadt. Das waren Haubitzen, und zwar zwei
Stück. Die ersten Geschosse fielen in die Drina, danach auf den freien Platz
vor der Brücke, wo sie die umliegenden Häuser, Lottikas Hotel und das
Offizierskasino beschädigten, und dann begannen sie in regelmäßigen Abständen
genauer zu treffen, und zwar nur die Brükke und die Kaserne. Schon nach einer
Stunde brannte die Kaserne. Die Soldaten, die Löschversuche machten, nahm die
Gebirgsbatterie vom Panos unter Schrapnellfeuer. Schließlich überließen sie
die Kaserne ihrem Schicksal. In der heißen Luft brannte alles, was aus Holz
war, und in die niedergebrannte Ruine schlugen von Zeit zu Zeit die Granaten
ein und zerstörten das Innere des Gebäudes. So wurde der Steinerne Chan zum
zweiten Male zerstört und wieder zu einem Haufen Steine gemacht. Die beiden
Haubitzen in Golesch beschossen danach ständig und gleichmäßig die Brücke, am
meisten den Mittelpfeiler. Die Granaten fielen bald in den Fluß, links und
rechts der Brücke, bald explodierten sie auf den massiven Steinpfeilern oder schlugen
auf der Brücke selbst ein, aber keine von ihnen traf den eisernen Deckel über
der Öffnung, die in das Innere des Mittelpfeilers führte, in dem die Ladung
für die Sprengung der Brücke lag.
    Durch diese ganze zehntägige
Beschießung entstand aber auch sonst auf der Brücke keinerlei größerer Schaden.
Die Granaten trafen die glatten Pfeiler und runden Wölbungen, prallten von
ihnen ab und explodierten in der Luft, ohne auf den steinernen Wänden andere
Spuren als flache, weiße, kaum sichtbare Kratzer zu hinterlassen. Die
Schrapnellsplitter aber prallten von den glatten, festen Mauern wie Hagelkörner
ab. Lediglich die Granaten, die die Fahrbahn selbst trafen, hinterließen auf
der Brükke im festgestampften Kies flache Löcher und aufgewühlte Stellen,
aber die bemerkte man nicht, ehe man auf die Brücke kam. So stand in diesem
ganzen neuen Unwetter, das sich über der Stadt entlud und uralte Gewohnheiten,
lebendige Menschen und tote Dinge von Grund auf änderte und verwandelte, die
Brücke auch weiterhin weiß, fest und unverwundbar, wie sie immer gewesen.

23
    Wegen der ständigen Beschießung war
tagsüber jeder größere Verkehr über die Brücke eingestellt: die Zivilisten
gingen frei hinüber, auch einzelne Soldaten liefen ungehindert über die Brücke,
aber sobald sich eine etwas größere Gruppe zeigte, wurde sie vom Panos mit
Schrapnellen zugedeckt. Nach einigen Tagen hatte sich eine gewisse
Regelmäßigkeit herausgebildet. Die Menschen hatten herausbekommen, wann das
Feuer stärker, wann es schwächer war und wann es völlig eingestellt wurde,
danach richteten sie sich und erledigten, soweit sie die

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