Ivo Andric
Anders kann es nicht sein. Aber du
hast da draußen in deinem Nesuke den Berg dicht vor den Fenstern, und du
siehst auch nicht weiter als bis zu diesem Felsen. Gib auf, was du begonnen
hast; geh nicht in das Schutzkorps und überrede auch niemanden dazu. Besser, du
lebst weiter von deinem Dutzend Hintersassen, die dir noch verblieben sind,
solange sie noch etwas hergeben.«
Alle schwiegen unbeweglich und
ernst. Es schwieg auch Nailbeg, offensichtlich beleidigt, obgleich er das
verbarg, und wälzte, bleich wie ein Toter, irgendeinen Entschluß in seinem
Kopfe. Außer Nailbeg hatte Alihodscha sie alle umgestimmt und abgekühlt. Sie
rauchten und blickten stumm, wie sich über die Brükke ein unabsehbarer Zug von
Wagen und beladenen Pferden wälzte. Und dann erhoben sie sich einer nach dem
anderen und verabschiedeten sich. Der letzte war Nailbeg. Auf seinen finsteren
Gruß sah ihm Alihodscha noch einmal in die Augen und sagte fast traurig: »Ich
sehe, daß du entschlossen bist zu gehen. Auch dir steht der Sinn nach Sterben;
du hast Angst, die Zigeuner könnten dir zuvorkommen. Aber merke dir, was die
alten Leute schon immer gesagt haben. Noch ist nicht die Zeit zum Sterben
gekommen, erst wollen wir sehen, ob einer vom rechten Schlag ist. Und solche
Zeiten sind auch jetzt gekommen.« Der Markt, der den Laden des Hodschas von der
Brücke trennte, war erfüllt mit Wagen, Pferden, Soldaten aller Waffengattungen
und mit Reservisten, die fortgingen, um sich zum Militär zu melden. Von Zeit
zu Zeit führten Gendarmen eine Gruppe gefesselter Bauern oder Städter, Serben,
vorüber. Die Luft war voller Staub. Alle sprachen lauter und bewegten sich
schneller, als es das erforderte, was sie zu sagen oder zu tun hatten. Die
Gesichter waren schweißbedeckt und glühend, man hörte fluchen in allen
Sprachen. Die Augen glänzten von Alkohol, Übermüdung und jener gequälten
Unruhe, die immer in der Nähe der Gefahr und blutiger Ereignisse herrscht.
Mitten auf dem Markt, gegenüber der
Brücke, sägten ungarische Reservisten in neuen Uniformen einige Balken. Hastig
klopften die Hämmer und schnitten die Sägen. Über den Markt ging ein Flüstern:
»Dort wird ein Galgen errichtet.« Um sie sammelten sich die Kinder. Alihodscha
sah von seinem Laden, wie zunächst zwei Balken aufgerichtet wurden und wie dann
ein schnauzbärtiger Reservist hinaufkletterte und sie oben durch einen dritten,
waagrechten verband. Das Volk strömte herbei, als würde Halwa ausgeteilt, und
bildete einen lebendigen Kreis um den Galgen. Meist waren es Soldaten,
dazwischen aber auch arme mohammedanische Häusler von den Dörfern und Zigeuner
aus der Stadt. Sodann wurde ein Weg freigemacht und von irgendwo ein Tisch und
zwei Stühle für den Offizier und seinen Schreiber herbeigebracht, und dann
führten Schutzkorpsleute zwei Bauern und danach einen Städter heran. Die Bauern
waren Gemeindeälteste aus den Grenzdörfern Posdertschitza und Kamenitze und
der Städter ein gewisser Wajo aus der Lika, der vor vielen Jahren als
Unternehmer in die Stadt gekommen war und sich hier verheiratet hatte. Alle
drei waren gefesselt, verstört und staubbedeckt. Ein Trommler begann einen
lauten Wirbel auf seiner Trommel zu schlagen. Im allgemeinen Lärm und der
Unruhe klang der Trommelwirbel wie ein fernes Donnern. In jenem Kreis um den
Galgen trat Ruhe ein. Der Offizier, ein ungarischer Oberleutnant der Reserve,
verlas mit scharfer Stimme in deutscher Sprache die Todesurteile, und nach ihm
übersetzte ein Feldwebel. Alle drei waren vom Standgericht zum Tode
verurteilt, denn es hatten Zeugen unter Eid ausgesagt, sie hätten gesehen, wie
sie während der Nacht Lichtsignale über die serbische Grenze gegeben hätten.
Das Aufhängen sollte öffentlich auf dem Markt neben der Brücke vollzogen werden.
Die Bauern schwiegen und blinzelten wie in Verlegenheit. Jener Wajo aus der
Lika aber wischte sich den Schweiß von der Stirn und versicherte mit schwacher,
trauriger Stimme, er sei unschuldig, und suchte mit weit aufgerissenen, wie
wahnsinnigen Augen in seiner Umgebung nach einem, dem er das noch sagen könnte.
Die Vollstreckung des Urteils sollte
gerade beginnen, da drängte sich durch diesen Kreis zusammengelaufener
Menschen ein Soldat, rothaarig, klein, mit X-Beinen. Das war Gustav, der einstige
Zahlkellner in Lottikas Hotel und jetziger Kaffeehausbe sitzer in der
Unterstadt. Er trug eine neue Uniform mit den Abzeichen eines Gefreiten, sein
Gesicht war gerötet und die Augen noch
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