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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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stärker blutunterlaufen als gewöhnlich.
Der Feldwebel wollte ihn fortschicken, aber der kriegerische Kaffeehausbesitzer
ließ sich nicht abweisen.
    »Ich bin hier seit fünfzehn Jahren
Nachrichtenorgan, Vertrauensperson der höchsten militärischen Kreise«, schrie
er auf deutsch mit betrunkener Stimme, »und man hat mir erst im vorigen Jahre
in Wien versprochen, daß ich mit eigener Hand zwei Serben aufhängen dürfte,
wenn die Zeit dazu gekommen wäre. Sie wissen nicht, mit wem Sie es zu tun
haben. Ich habe das Recht darauf erworben. Und Sie wollen mich jetzt ...«
    In der Menge entstand ein Murmeln
und Flüstern. Der Feldwebel war in Verlegenheit. Gustav wurde immer
zudringlicher und forderte um jeden Preis, daß man ihm zwei der Verurteilten
überlasse, damit er sie mit eigener Hand aufhänge. Da erhob sich der
Oberleutnant, ein magerer, dunkelhaariger Mann von vornehmem Äußeren,
verzweifelt, als sei er selbst verurteilt, ohne einen Tropfen Blut im Gesicht.
Obgleich er betrunken war, nahm Gustav Haltung an, aber sein dünner, roter
Schnurrbart zitterte und seine Augen wanderten bald nach links, bald nach
rechts. Der Offizier trat ganz nahe an ihn heran und sagte ihm in sein
betrunkenes Gesicht hinein, als wollte er ihn anspeien:
    »Wenn Sie nicht machen, daß Sie aus
diesem Kreise fortkommen, dann lasse ich Sie gefesselt abführen. Und morgen
melden Sie sich zum Rapport. Haben Sie verstanden? Und jetzt scheren Sie sich
fort! Marsch!«
    Der Oberleutnant sprach Deutsch mit
ungarischem Akzent, vollkommen ruhig, aber so scharf und erbittert, daß der
betrunkene Kaffeehausbesitzer plötzlich klein wurde und sich, unaufhörlich
militärisch grüßend und unverständliche Entschuldigungsworte stotternd, in der
Menge verlor.
    Erst jetzt wandte sich die
allgemeine Aufmerksamkeit wieder den Verurteilten zu. Die beiden Bauern zeigten
die völlig gleiche Haltung. Sie blinzelten und zogen krause Stirnen vor dem
Sonnenglanz und der Schwüle, die aus der dichtgedrängten Menge aufstieg, als
sei das alles, was sie quäle. Wajo aber versicherte mit schwacher und
weinerlicher Stimme, daß er unschuldig sei, daß ihn sein Konkurrent auf dem
Gewissen habe, daß er weder je im Heer gedient noch irgendwann in seinem Leben
gehört habe, daß man mit Licht Zeichen geben könne. Er konnte etwas Deutsch
und reihte verzweifelt ein Wort an das andere in seinem Mühen, irgendeinen
überzeugenden Ausdruck zu finden, durch den er diesen Mahlstrom aufhalten
könnte, der ihn seit gestern mitriß und drohte, ihn ohne Schuld und Fehl von
dieser Welt fortzutragen.
    »Herr Leutnant, Herr Leutnant, um
Gottes willen ... Ich unschuldiger Mensch ... viele Kinder ... Unschuldig!
Lüge! Alles Lüge!« wählte Wajo seine Worte, als suchte er, welches das richtige
und rettungbringende sei.
    Die Soldaten traten schon zu dem
ersten Bauern. Er nahm schnell die Mütze ab, wendete sich zum Mejdan, auf dem
die Kirche stand, und bekreuzigte sich zweimal inbrünstig. Mit einem Blick
befahl ihnen der Offizier, zuerst Wajo hinzurichten. Der verzweifelte Mann aus
der Lika hob, als er sah, daß die Reihe an ihn gekommen war, die Hände und
begann in gebrochenem Deutsch aus vollem Halse zu schreien.
    »Nein! Nein! Nicht, um Gottes
willen! Herr Leutnant, Sie wissen... alles Lüge... Gott... alles Lüge!« schrie
Wajo, aber die Soldaten hatten ihn schon an den Füßen und um die Hüften gefaßt
und auf das Holzgerüst unter dem Seil gehoben.
    Atemlos verfolgte die Menge das
alles wie ein Spiel zwischen dem unglücklichen Unternehmer und dem
Oberleutnant, zitternd vor Neugierde, wer gewinnen und wer verlieren würde.
    Alihodscha, der bis dahin
unverständliche Stimmen gehört hatte und nicht ahnte, was in diesem Kreis dicht
gedrängten Volkes vorging, erblickte plötzlich Wajos entseeltes Gesicht über
allen Köpfen, und sofort sprang er auf und schloß seinen Laden, obgleich die
ausdrückliche Anordnung der Militärbehörden bestand, daß alle Läden
offenzuhalten seien.
    In der Stadt trafen immer neue
Truppen und mit ihnen Munition, Verpflegung und Ausrüstung ein, aber nicht nur
mit der Bahn, die überlastet war, sondern auch auf der alten Landstraße über
Rogatitza. Tag und Nacht zogen Wagen und Pferde über die Brücke, und das erste,
was sie begrüßte, wenn sie die Stadt von der Brücke her betraten, waren die
drei Gehenkten auf dem Marktplatz. Und da die Spitze der Kolonne gewöhnlich in
den überfüllten Straßen stockte, mußte jede Truppe hier auf der

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