Ivo Andric
Bauer etwas Undeutliches durch die
Zähne. Plewljak, der seine Worte und Bewegungen beobachtete und gierig auf
irgendein Geständnis lauerte, gab dem Zigeuner mit der Hand ein Zeichen und
sprang sofort hinzu:
»Wie? Was sagst du?«
»Nichts. Ich sage: ihr quält mich
unschuldig und verliert nur Zeit damit.«
»Sprich, wer hat dich angestiftet?«
»Wer soll mich schon angestiftet
haben? Der Scheitan 7 !«
»Der Scheitan?«
»Der Scheitan, jedenfalls jener, der
auch euch angestiftet hat, hierher zu kommen und eine Brücke zu bauen.«
Der Bauer sprach leise, aber fest
und bestimmt.
Der Scheitan! Ein eigenartiges Wort,
so verbittert und in so ungewöhnlicher Lage ausgesprochen. Der Scheitan! Auch
das gibt es, dachte Plewljak, und stand mit gesenktem Kopf, als verhöre ihn der
Gefesselte und nicht er ihn. Dieses eine Wort traf ihn an empfindlichster
Stelle und erweckte in ihm wieder alle Sorgen und Befürchtungen in ihrer ganzen
Stärke und Größe, als seien sie nicht dadurch gelöscht, daß man diesen einen
ergriff. Vielleicht ist wirklich alles dies, dieser Abidaga, der Brückenbau,
dieser verrückte Bauer, nur ein teuflisches Werk des Scheitan! Vielleicht ist
dies das einzige, vor dem man sich fürchten muß. Plewljak erschauerte und fand
wieder in die Wirklichkeit zurück. Eigentlich hatte ihn Abidagas laute, donnernde
Stimme aufgerüttelt: »Was ist? Dich schläfert wohl, du Faulpelz?« brüllte
Abidaga und schlug mit seiner kurzen ledernen Peitsche an seinen rechten
Stiefelschaft.
Der Zigeuner kniete mit der Zange in
der Hand und blickte mit schwarzen, glänzenden Augen eingeschüchtert und unterwürfig
zu Abidagas hoher Gestalt auf. Die Sejmen schürten das Feuer, das auch ohne sie
wieder aufgeflammt wäre. Der ganze Raum strahlte warm und festlich. Überhaupt
der ganze Schuppen, der sonst ärmlich und unansehnlich dahindämmerte, wuchs mit
einem Male, er erweiterte und veränderte sich. In ihm und um ihn herum
herrschte jene feierliche Erregung und besondere Stille, wie sie an allen Orten
herrscht, an denen Recht gesprochen wird, man einen Menschen foltert oder sich
andere schicksalhafte Dinge ereignen. Abidaga, Plewljak und der Gefesselte
bewegten sich und sprachen wie Schauspieler, und alle übrigen gingen gesenkten
Hauptes auf den Zehen umher und sprachen nur, wenn unbedingt notwendig, aber
auch dann nur im Flüsterton. Jeder wünschte in seinem Innersten, nicht an diesem
Ort und bei diesem Geschäft zu sein, weil aber dies nicht möglich war, dämpfte
ein jeder seine Worte und verringerte seine Bewegungen, um sich wenigstens auf
diese Weise ein wenig fernzuhalten.
Als er sah, daß das Verhör langsam
ging und keine Früchte versprach, verließ Abidaga mit einer ungeduldigen
Bewegung und lauten Flüchen den Schuppen. Hinter ihm her tänzelte Plewljak, ihm
folgten die Sejmen.
Draußen dämmerte es. Die Sonne
zeigte sich noch nicht, aber der ganze Horizont war hell. Tief zwischen den
Bergen sah man Wolken, in langen blaßvioletten Streifen auseinandergezogen, und
zwischen ihnen den hellen, klaren Himmel von fast grünlicher Farbe. Über die
feuchte Erde zogen sich niedrige Nebelschwaden, aus denen die Kronen der
Obstbäume mit schütterem, gelbem Laub hervorragten. Taktmäßig mit der Peitsche
an seinen Stiefel schlagend, gab Abidaga seine Befehle: man solle den
Schuldigen weiter verhören, besonders nach Mithelfern, aber man solle ihn nicht
über die Maßen foltern, damit er nicht zusammenbräche; man solle alles
vorbereiten, was nötig sei, um ihn heute mittag bei lebendigem Leibe zu
pfählen, und zwar auf dem äußersten Gerüst, auf der höchsten Stelle, so daß ihn
die ganze Stadt und alle Arbeiter von beiden Seiten des Flusses sähen;
Merdschan solle alles vorbereiten und der Ausrufer in den Gassen bekanntmachen,
daß das Volk mittags auf der Brücke sehen könne, wie es denen ginge, die den
Brückenbau stören, daß sich dort auf dem einen oder auf dem anderen Ufer die
ganze männliche Bevölkerung zu versammeln habe, Türken und Rajas, vom Kinde bis
zum Greise.
Der Tag, der herandämmerte, war ein
Sonntag. Sonntags wurde, wie an jedem anderen Tage, gearbeitet, aber heute waren
selbst die Aufseher zerstreut. Es war kaum richtig Tag geworden, da hatte sich
schon die Nachricht von der Ergreifung des Schuldigen, von seiner Folterung und
bevorstehenden Hinrichtung verbreitet, die mittags stattfinden sollte. Jene
gedämpfte und feierliche Stimmung aus dem Schuppen hatte sich über das ganze
Gebiet
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