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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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auf dem Gerüst verteilt blieben.
    Das Volk drängte und schob sich zum
Schauspiel. Etwa hundert Schritte trennte es von diesen Brettern, so daß es
jeden Menschen und jede Bewegung sehen, aber weder Worte hören noch
Einzelheiten unterscheiden konnte. Das Volk und die Arbeiter auf dem linken
Ufer waren dreimal soweit vom Schauspiel entfernt und drängten und stießen
noch mehr, um möglichst gut zu hören und zu sehen. Aber nichts war zu hören,
und was man sah, das schien anfangs viel zu einfach und gar nicht unterhaltsam.
Gegen das Ende zu aber wurde es so furchtbar, daß alle den Kopf abwandten und
viele schnell nach Hause eilten, bereuend, überhaupt gekommen zu sein.
    Als sie Radisaw befahlen, sich
niederzulegen, zögerte er einen Augenblick, und dann, ohne die Zigeuner oder
die Sejmen anzusehen, gerade als seien sie überhaupt nicht vorhanden, näherte
er sich fast vertraulich Plewljak wie seinesgleichen und sprach ruhig und dumpf
zu ihm:
    »Höre, wenn es dir in dieser und in
jener Welt gut gehen soll, dann tue ein gutes Werk und durchstich mich, damit
ich mich nicht wie ein Hund quälen muß.«
    Plewljak riß sich los und schrie ihn
an, als verteidige er sich gegen diese zu vertrauliche Art des Gesprächs:
    »Marsch, Christenhund! So ein Held
bist du also, daß du das Eigentum des Sultans zerstörst und hier wie ein Weib
jammerst. Es geschieht alles, wie es befohlen ist und wie du es verdient hast.«
    Radisaw senkte den Kopf noch tiefer,
während die Zigeuner an ihn herantraten und sich anschickten, ihm Joppe und
Hemd abzustreifen. Auf der Brust zeigten sich, gerötet und voller Blasen, die
Brandwunden der glühenden Ketten. Ohne noch ein Wort zu sprechen, legte sich
der Bauer, wie ihm befohlen, nieder, das Gesicht zum Boden gekehrt. Die
Zigeuner traten hinzu, banden ihm zunächst die Hände auf den Rücken und
befestigten dann an jedem Fuß, am Knöchel, einen Strick. Sie zogen, jeder von
einer Seite, und spreizten seine Beine weit auseinander. Inzwischen legte
Merdschan den Pfahl auf zwei kurze Rundhölzer, so daß die Spitze dem Bauern
zwischen die Beine zeigte. Dann zog er ein kurzes, breites Messer aus dem
Gürtel, kniete vor dem ausgestreckten Verurteilten nieder und beugte sich über
ihn, um ihm den Stoff der Hose zwischen den Beinen zu zerschneiden und die
Öffnung zu erweitern, durch die der Pfahl in den Körper eindringen sollte.
Dieser furchtbarste Teil der Henkersarbeit blieb glücklicherweise für die
Zuschauer unsichtbar. Man sah nur, wie der gefesselte Körper unter dem kurzen,
unbemerkten Messerstich erschauerte, sich bis zur Hüfte aufbäumte, als wolle
er aufstehen, aber sofort wieder zurückfiel und dumpf auf die Bretter
aufschlug. Sobald er dies beendet hatte, sprang der Zigeuner auf, nahm den
hölzernen Hammer vom Boden und begann mit ihm auf das untere, stumpfe Ende des
Pfahles langsam und gleichmäßig zu schlagen. Nach jedem zweiten Schlag machte er
einen Augenblick halt und betrachtete zunächst den Körper, in den er den Pfahl
trieb, und dann die beiden Zigeuner, die er ermahnte, langsam und gleichmäßig
zu ziehen. Der Körper des ausgespreizten Bauern krampfte sich von selbst
zusammen; bei jedem Hammerschlag krümmte und buckelte sich das Rückgrat, aber
die Stricke zogen ihn auseinander und streckten ihn. Die Stille war auf beiden
Ufern so groß, daß man jeden Hammerschlag und sein Echo, irgendwo am steilen
Ufer, unterscheiden konnte. Die am nächsten Stehenden konnten hören, wie der
Mann mit der Stirn auf die Bretter schlug, und daneben ein anderes,
ungewöhnliches Geräusch; aber das war weder ein Schmerzensschrei noch ein Wehruf
noch ein Todesröcheln noch irgendein menschlicher Laut, sondern dieser ganze
auseinandergezerrte, gefolterte Körper gab ein Knarren und Knirschen von sich
wie ein Zaun, den man umtritt, oder wie Holz, das bricht. Nach jedem zweiten
Schlag trat der Zigeuner zu dem ausgestreckten Körper, beugte sich über ihn,
prüfte, ob der Pfahl den richtigen Weg einhalte, und, wenn er sich überzeugt
hatte, daß kein einziges der wichtigsten Eingeweide verletzt war, dann kehrte
er um und setzte seine Arbeit fort.
    Alles dies hörte man kaum auf dem
jenseitigen Ufer, und noch weniger sah man es, aber allen zitterten die Beine,
ihre Gesichter wurden bleich und die Finger an den Händen kalt.
    Plötzlich hörte das Klopfen auf.
Merdschan sah, wie sich oben am rechten Schulterblatt die Muskeln spannten und
die Haut hob. Schnell schritt er hinzu und machte an der

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