Ivo Andric
emporgehobenen Stelle
einen Kreuzschnitt. Blasses Blut floß heraus, zunächst spärlich, dann immer
stärker. Noch zwei, drei Schläge, leicht und vorsichtig; und an der
aufgeschnittenen Stelle begann die mit Eisen beschlagene Spitze des Pfahles
herauszutreten. Er schlug noch ein paar Male zu, bis die Spitze in gleicher
Höhe mit dem rechten Ohr war. Der Mann war auf den Pfahl getrieben wie ein
Lamm auf den Bratspieß, nur daß ihm die Spitze nicht aus dem Munde, sondern aus
dem Rücken herauskam, und weder die Eingeweide noch Herz oder Lunge stärker verletzt
waren. Nun warf Merdschan den Hammer fort und trat hinzu. Er betrachtete den
reglosen Körper, das Blut umgehend, das aus den Stellen, an denen der Pfahl
ein- und austrat, herausgelaufen war und sich in kleinen Tümpeln auf den
Brettern gefangen hatte. Die zwei Zigeuner drehten den steifen Körper auf den
Rücken und schickten sich an, die Füße unten am Pfahl festzubinden. Inzwischen
sah Merdschan nach, ob der Mann noch lebe, und betrachtete sorgfältig dieses
Gesicht, das mit einem Male aufgedunsen, breiter und größer geworden war. Die
Augen waren weit geöffnet und unruhig, die Augenlider aber unbeweglich, der
Mund aufgerissen und beide Lippen im Krampf erstarrt, hinter ihnen schimmerten
weiß die zusammengepreßten Zähne hervor. Einzelne seiner Gesichtsmuskeln beherrschte
der Mann nicht mehr, daher wirkte das Gesicht wie eine Maske. Aber das Herz
schlug dumpf und die Lunge ging unter einem kurzen und beschleunigten Atem. Die
beiden Zigeuner schickten sich an, ihn wie ein Stück Vieh am Spieß zu erheben.
Merdschan schrie sie an, vorsichtig zu sein, den Körper nicht zu rütteln, und
half selbst mit. Sie steckten das untere, dickere Ende des Pfahles zwischen die
beiden Balken und schlugen alles mit großen Nägeln fest. Dann stützten sie ihn
von hinten in gleicher Höhe mit einer kurzen Latte ab, die sie ebenfalls am
Pfahle und an den Balken des Gerüstes festnagelten.
Als auch dies beendet war, zogen
sich die Zigeuner weiter zurück und mischten sich unter die Sejmen, während
auf jenem freien Raum, volle zwei Arschin emporgehoben, steif, ausgereckt und
nackt bis zum Gürtel, der Mann auf dem Pfahl allein zurückblieb. Aus der
Entfernung ahnte man nur, daß der Pfahl, an dem seine Beine mit den Knöcheln
angebunden, während die Hände auf dem Rücken gefesselt waren, mitten durch ihn
hindurchging. Er erschien daher dem Volk wie ein Standbild, das am äußersten
Ende des Gerüstes, hoch über dem Fluß, in der Luft schwebte.
Auf beiden Ufern ging ein
Stimmengewirr und Wogen durch die Menge. Einige senkten den Blick, während
andere schnell nach Hause eilten, ohne den Kopf zu wenden. Die meisten blickten
stumm auf diese in den Raum hinausgehobene, unnatürlich starre und steife
menschliche Gestalt. Das Entsetzen ließ ihre Eingeweide zu Eis werden und die
Füße unter ihnen erstarren, aber sie konnten sich nicht rühren, noch den Blick
von diesem Schauspiel losreißen. Und unter dieser verängstigten Menge bewegte
sich die irre Ilinka, jedem sah sie in die Augen. Sie bemühte sich, den Blick
aufzufangen und in ihm zu lesen und zu erforschen, wo sich ihre geopferten und
begrabenen Kinder befänden.
Nun traten Plewljak, Merdschan und
noch zwei Sejmen erneut an den Verurteilten heran und schickten sich an, ihn
aus der Nähe zu betrachten. Unten floß am Pfahl nur ein dünnes Blutrinnsel
herab. Der Mann lebte und war bei Bewußtsein. Seine Flanken hoben und senkten
sich, die Halsadern klopften, die Augen rollten langsam, aber unaufhörlich.
Durch die zusammengepreßten Zähne quoll ein gedehntes Knurren hervor, in dem
man mit Mühe einzelne Worte unterscheiden konnte.
»Türken, Türken...« röchelte der
Mann auf dem Pfahl, »Türken auf der Brücke... wie Hunde sollt ihr verrecken...
wie Hunde umkommen ...!«
Die Zigeuner sammelten ihr Werkzeug
ein, und alle stiegen gemeinsam mit Plewljak und den Sejmen über das Gerüst hinunter
zum Ufer. Das Volk wich vor ihnen zurück und schickte sich an,
auseinanderzugehen. Nur die Jungen auf den hohen Steinblöcken und kahlen Bäumen
erwarteten noch etwas, und da sie nicht wußten, was das Ende, noch was genug
sei, warteten sie, was weiter mit dem sonderbaren Mann geschehen würde, der da
über dem Wasser schwebte, als sei er im Sprunge stehen geblieben.
Plewljak näherte sich Abidaga und
meldete, es sei alles genau und gut ausgeführt und der Verurteilte lebe, und es
habe den Anschein, als werde er noch eine
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