Ivo Andric
dieses dritten Jahres
ereignete sich einer jener Unglücksfälle, ohne die große Bauwerke selten
errichtet werden können. Es wurde der mittlere Pfeiler fertiggestellt, der
etwas höher und oben breiter als die übrigen war, denn auf ihm sollte das
Brückentor, die Kapija, ruhen. Beim Heranschaffen eines großen Steinblockes
stockte die Arbeit. Die Arbeiter umschwärmten den gewaltigen, viereckigen
Steinblock, der, umwunden mit dicken Seilen, zu ihren Häupten schwebte. Dem
Kran war es nicht gelungen, ihn genau auf sein Lager zu bringen. Meister
Antonios Gehilfe, der Mohr, eilte ungeduldig hinzu und begann (in jener
sonderbaren gemischten Sprache, die im Laufe der Jahre unter diesen Menschen
aus verschiedenen Teilen der Welt entstanden war) mit lauten, ärgerlichen Rufen
denen unten auf dem Wasser, die den Kran bedienten, Befehle zu geben. In die
sem Augenblick gaben unverständlicherweise die Seile nach, und der Block
stürzte, zunächst mit einem Ende und dann mit seinem ganzen Gewicht auf den
aufgeregten Neger, der nicht über sich, sondern unter sich auf das Wasser
geschaut hatte. Durch einen eigenartigen Zufall war der Block genau dorthin
gefallen, wohin er sollte, aber im Fallen hatte er den Neger erfaßt und dessen
ganze untere Körperhälfte eingequetscht. Es entstand ein Auflauf, Verwirrung
und Geschrei. Schnell kam auch Meister Antonio herbei. Der junge Schwarze war
nach der ersten Bewußtlosigkeit wieder zu sich gekommen: er stöhnte durch die
zusammengebissenen Zähne und sah Meister Antonio ängstlich traurig in die
Augen. Bleich, mit zusammengezogenen Brauen, gab Meister Antonio Befehl, die
Arbeiter sollten sich sammeln, Werkzeug holen und gemeinsam den Block anheben.
Aber alles war vergeblich. Der Junge verlor schnell sein Blut, sein Atem brach
und sein Blick verschleierte sich. In einer halben Stunde starb er, krampfhaft
die Hand des Meisters in der seinen haltend.
Die Beisetzung des Mohren war ein
feierliches Ereignis, dessen man sich noch lange erinnerte. Alle männlichen
Mohammedaner gaben ihm das Geleite und trugen einige Schritte seinen Sarg, in
dem nur die obere Hälfte seines jungen Körpers lag, denn die andere war unter
dem Steinblock geblieben. Meister Antonio errichtete ihm ein schönes
Grabdenkmal aus dem gleichen Stein, aus dem auch die Brücke gebaut wurde. Ihn
erschütterte der Tod dieses jungen Burschen, den er aus seiner Armut in
Ulzinj, wo einige dorthin verschlagene Negerfamilien lebten, als Knaben
fortgeführt hatte. Aber die Arbeit ruhte nicht einen Augenblick.
In diesem und im folgenden Jahre war
der Winter milde, und es wurde noch bis Mitte Dezember gearbeitet. Das fünfte
Jahr des Bauens war herangekommen. Jetzt begann sich dieser breite und
unregelmäßige Kreis aus Holz, Stein, Hilf sgeräten und verschiedenstem
Material zu lichten.
Auf der Fläche neben dem Weg zum
Mejdan stand schon der neue Chan, befreit vom Gerüst. Es war ein großes Gebäude
mit einem Stockwerk, aus dem gleichen Stein gebaut wie auch die Brücke. Noch
wurde am Chan innen und außen gearbeitet, aber schon jetzt konnte man aus der
Ferne sehen, wie sehr er durch Größe, Harmonie der Linien und Festigkeit des
Bauens von allem abstach, was man in der Stadt jemals hatte erbauen oder
erdenken können. Dieses Gebäude aus hellem, gelbem Stein, mit einem Dach von
dunkelroten Ziegeln und mit einer Reihe fein geschnittener Fenster erschien den
Städtern wie etwas Üppiges und unwahrscheinlich Feiertägliches, das von nun an
Bestandteil ihres alltäglichen Lebens werden sollte. Gebaut vom Wesir, sah es
aus, als sollten nur Wesire in ihm absteigen. Von allem ging ein Abglanz von
Größe, Geschmack und Üppigkeit aus, der sie verwirrte.
Zur gleichen Zeit begann auch jene
formlose Masse gekreuzter Balken und Latten über dem Fluß abzunehmen und
dünner zu werden, und hinter ihnen erkannte man jetzt immer besser und
deutlicher die wahre Brücke aus schönem Banjaer Stein. Noch immer arbeitete man
einzeln und in ganzen Gruppen an Dingen, die den Augen der Leute sinnlos und
ohne Beziehung zu allem übrigen erschienen, aber jetzt war es auch für den
letzten ungläubigen Städter klar, daß alle diese Menschen eine Brücke bauten,
nach einem einzigen Gedanken und einer einzigen, unfehlbaren Rechnung, die
hinter jeder dieser einzelnen Tätigkeiten stand. Zuerst zeigten sich jene
Bögen, die in ihrer Höhe und Weite die kleinsten und dem Ufer am nächsten
waren, aber dann wurden sie einer nach dem andern enthüllt,
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