Ivo Andric
dauerte zwei Tage. Auf die Gesundheit des Wesirs
wurde gegessen, getrunken, gespielt, getanzt und gesungen; es gab Pferderennen
und Wettläufe; an die Armen wurden Fleisch und Süßigkeiten verteilt.Auf dem
Platz, der die Brücke mit der Stadt verbindet, wurde in Kesseln Halwa 8 gekocht und noch warm an das Volk verteilt.Da aß sich auch der an Süßigkeiten
satt, der es zum Bairam 9 nicht getan hatte. Bis in die umliegenden Dörfer gelangte die Halwa, und wer
immer sie kostete, wünschte dem Wesir Gesundheit und seinen Bauten langes Bestehen.
Es gab Kinder, die vierzehnmal an den Kessel gingen, bis sie die Köche, die sie
wiedererkannten, verjagten, indem sie mit dem Kochlöffel nach ihnen schlugen.
Ein Zigeunerkind starb, denn es hatte sich an der heißen Halwa übergessen. –
Solcher Dinge erinnerte man sich lange und sprach von ihnen, wenn man vom
Werden der Brücke erzählte, um so mehr, als freigebige Wesire und ehrliche
Beauftragte in den späteren Jahrhunderten, scheint es, ausstarben und solche
Feierlichkeiten selten und schließlich vollkommen unbekannt wurden, bis sie
endlich in eine Reihe mit den Märchen von Feen, von den eingemauerten
Zwillingen Stoja und Ostoja (Halte und Bleibe) und ähnlichen Wundern rückten.
Solange die Festlichkeiten dauerten,
und überhaupt in den ersten Tagen, gingen die Menschen zahllose Male über die
Brücke, von einem Ufer auf das andere. Die Kinder liefen, und die Älteren
gingen langsam, im Gespräch, oder von jedem Punkt aus die neuen Aussichten
betrachtend, die sich von der Brücke boten. Die Alten und Lahmen wurden auf
Bahren getragen, denn niemand wollte zurückbleiben und auf seinen Anteil an
diesem Wunder verzichten. Jeder, auch der kleinste Städter, fühlte, als hätten
sich seine Fähigkeiten mit einem Male vervielfacht und seine Stärke vergrößert,
als sei eine wunderbare, übermenschliche Heldentat in das Maß seiner Kräfte
und in die Grenzen seines Alltagslebens gerückt, als sei neben den bisher bekannten
Elementen, Wasser und Himmel, mit einem Male noch ein weiteres entdeckt
worden, als sei durch irgend jemandes Wunderkraft mit einem Male für alle und
jeden einer der höchsten Wünsche, ein uralter Menschheitstraum verwirklicht:
über das Wasser zu gehen und den Raum zu beherrschen.
Die türkischen jungen Burschen
führten unaufhörlich einen Reigentanz um den Halwakessel und dann über die
Brücke, denn dort schien es ihnen, als flögen sie und nicht als bewegten sie
sich über die Erde. Dann bildeten sie auf der Kapija einen Kreis und stampften
und schlugen mit den Füßen auf die neuen Platten, als wollten sie die
Festigkeit der Brücke erproben. Um diesen dichtgedrängten Kreis junger Leiber,
die unermüdlich im gleichen Rhythmus stampften, sprangen die Kinder und liefen
zwischen den tanzenden Beinen wie durch einen beweglichen Zaun hindurch; dann
standen sie in der Mitte des Kreises, zum ersten Male in ihrem Leben auf der
Brücke, über die man schon jahrelang sprach, und noch dazu auf der Kapija, von
der man sagte, daß in ihr der unglückliche verstorbene Mohr eingeschlossen sei
und sich des Nachts zeige. Während sie sich an dem Tanz der jungen Männer
erfreuten, vergingen sie zugleich vor jener Angst, die der Mohr schon zu seinen
Lebzeiten, als er an der Brücke arbeitete, den Stadtkindern eingeflößt hatte.
Auf dieser hohen, neuen und ungewöhnlichen Brücke schien es ihnen, als hätten
sie die Mutter und das Geburtshaus seit langem verlassen und sich in das Land
der schwarzen Menschen, der wunderbaren Bauten und ungewöhnlicher Tänze
verirrt. Sie bangten, aber sie konnten sich nicht vom Gedanken an den Mohren
freimachen, noch sich vom Tanz auf der wunderbaren neuen Kapija losreißen.
Erst ein neues Wunder vermochte ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Ein gewisser Murat, genannt Muta, ein schwachsinniger Bursche aus der Agafamilie der Turkowitsch aus Nesuke,
mit dem sie in der Stadt häufig ihren Scherz trieben, war plötzlich auf die
steinerne Brückeneinfassung gestiegen. Man hörte Kinder kreischen, bewundernde
und erschreckte Aufschreie der Älteren, und der Idiot setzte, wie beschwingt,
mit ausgebreiteten Armen auf den schmalen Platten Fuß vor Fuß, als schwebe er
nicht über dem Wasser, sondern beteilige sich an dem schönsten Spiel. Neben
ihm her ging eine Schar von Kindern und Müßiggängern und ermutigte ihn. Aber am
anderen Ende der Brücke erwartete ihn sein Bruder Aliaga und verprügelte ihn
wie ein kleines Kind.
Viele
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