Ivo Andric
gingen weit den Fluß hinab,
eine halbe Stunde Weges bis Kalata oder Mesalin und betrachteten von dort die
Brücke, die sich, weiß und leicht auf ihren elf Bögen ungleicher Größe, wie
eine wunderbare Arabeske vom grünen Wasser zwischen den dunklen Bergen abhob.
In diesen Tagen wurde auch die
große, weiße Tafel mit eingemeißelter Inschrift gebracht und auf der Kapija in
die Mauer aus rötlichem Stein eingelassen,die sich ganze drei Arschin 10 über die Einfassung erhob. Lange Zeit sammelte sich das Volk um die Inschrift
und betrachtete sie, bis sich irgendein schreibkundiger Schüler oder ein Hafis
fand, der mit mehr oder weniger Kunstfertigkeit für einen Kaffee oder eine
Melonenscheibe oder auch nur für einen Gotteslohn die Inschrift vorlas, so gut
er es konnte und vermochte.
Über hundert Male wurden in jenen
Tagen die Verse dieses Tarich buchstabiert, die ein gewisser Badi, ein
Verseschmied aus Stambul, geschrieben hatte und die Rang und Namen dessen
nannten, der diese Stiftung gebaut, und das Jahr des Heils 979 nach der
Hedschra, das heißt 1571 nach christlicher Zeitrechnung, in dem sie vollendet.
Dieser Badi schrieb für gutes Geld leichte und klingende Verse und verstand es
kunstvoll, sie bei jenen Großen abzusetzen, die große Bauwerke errichteten oder
ausbauten. Die ihn kannten (und auch ein wenig beneideten), sagten spöttisch,
das Himmelsgewölbe sei noch das einzige Bauwerk, an dem kein Tarich aus Badis
Feder stehe. Er aber war trotz seinem guten Verdienst ein armer Schlucker und
Hungerleider, ständig im Kampfe gegen jene besondere Not, die häufig die
Dichter als ein eigener Fluch begleitet, von der kein Geld und keine
Belohnungen sie befreien können.
Nur wenig schreibkundig, mit hartem
Schädel und der lebhaften Phantasie unserer Menschen begabt, las und deutete
jeder der städtischen Gelehrten Badis Tarich auf der steinernen Platte auf
seine Art, der wie jeder Text, der einmal an die Öffentlichkeit gebracht, nun
dort stand, ewig im ewigen Stein, für immer und unwiderruflich den Blicken und
Deutungen aller Menschen, der klugen wie der dummen, der böswilligen wie der
wohlmeinenden, ausgesetzt. Und jeder Hörer behielt die Verse, die seinem Ohr
und seiner Sinnesart am besten entsprachen. So wurde, was dort vor den Augen
aller Welt in den festen Stein gehauen stand, von Mund zu Mund auf die
verschiedenste Art, häufig verändert und bis zur Sinnlosigkeit entstellt,
wiedergegeben.
Auf dem Stein stand zu lesen:
SIEHE MEHMED PASCHA, DER GRÖSSTE UNTER
DEN WEISEN UND GROSSEN SEINER ZEIT,
ERFÜLLTE DAS GELÖBNIS SEINES HERZENS,
UND MIT SEINER FÜRSORGE UND SEINEM EIFER
ERBAUTE ER EINE BRÜCKE ÜBER DEN DRINAFLUSS.
ÜBER DIESEM WASSER, TIEF UND SCHNELLEN LAUFES,
KONNTEN SEINE VORGÄNGER NICHTS ERBAUEN.
ICH ERHOFFE VON DER GNADE GOTTES,
DASS IHM DIESER BAU FEST SEIN MÖGE,
DASS IHM SEIN LEBEN IM GLÜCK VERLAUFE
UND ER NIEMALS TRAUER ERFAHRE.
DENN ZEIT SEINES LEBENS HAT ER GOLD UND
SILBER FÜR STIFTUNGEN GESPENDET;
UND NIEMAND KANN SAGEN,
DASS EIN VERMÖGEN VERGEUDET,
DAS FÜR SOLCHE ZWECKE VERWENDET WURDE.
BADI, DER DIES GESEHEN, SPRACH,
ALS DER BAU VOLLENDET, FOLGENDE WIDMUNG:
< GOTT SEGNE DIESEN BAU,
DIESE WUNDERBARE UND HERRLICHE BRÜCKE! >
Endlich hatte sich das Volk sattgegessen,
sattgewundert, sattgegangen und an den Versen der Aufschrift sattgehört.
Dieses Wunder der ersten Tage war in ihr Alltagsleben eingegangen, und sie
überschritten die Brücke, eilfertig, gleichmütig, besorgt und zerstreut, so wie
das rauschende Wasser unter ihr dahinfloß, als sei es einer jener zahllosen
Wege, die sie und ihr Vieh mit ihren Füßen glattgestampft hätten. Und die Tafel
mit der Aufschrift schwieg in der Wand wie jeder andere Stein.
Jetzt war die Landstraße vom linken
Ufer mit jenem Ende der Landstraße auf dem erhöhten Plateau am anderen Ufer
verbunden. Verschwunden waren die dunkle, wurmstichige Fähre und ihr
launischer Fährmann. Tief unter den letzten Bögen der Brükke lagen die
sandigen Anschwemmungen und die steilen Ufer, die hinauf- oder hinabzugehen
gleich schwer gewesen war, und auf denen man so qualvoll gewartet und so oft
vergeblich von einer Seite zur anderen gerufen hatte. Alles dies war gleichzeitig
mit dem wirbelnden Fluß wie durch einen Zauber überbrückt. Hoch über allem
schritt man wie auf Flügeln geradewegs vom einen hohen Ufer zum anderen über
die breite und lange Brükke, die fest und beständig war wie ein Fels und unter
den Hufen ein Echo gab,
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