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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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fort. Am gleichen Tage reiste
auch Tosun Effendi im Bauernschlitten ab, eingepackt in Decken und Stroh, und
nach ihm Meister Antonio, aber in entgegengesetzter Richtung. Und das ganze
Lager der Fronarbeiter verstreute sich in die Dörfer und tiefen Täler, es
verschwand ungehört und unbemerkt wie Wasser, das im Boden versickert. Zurück blieb
nur der Bau, wie ein fortgeworfenes Spielzeug.
    Vor der Abreise berief Abidaga
wiederum die Ältesten der Türken zu sich. Er war niedergedrückt in seiner
ohnmächtigen Wut und sagte ihnen, wie im vorigen Jahre, er lasse alles in ihrer
Fürsorge und Verantwortlichkeit.
    »Ich gehe, aber mein Auge bleibt.
Und paßt mir gut auf: besser, ihr schlagt ein Dutzend ungehorsamer Köpfe ab,
als daß auch nur ein einziger Nagel des Sultans umkommt. Sobald das Frühjahr
anbricht, werde ich wieder hier sein und von jedem Rechenschaft fordern.«
    Die Ältesten versprachen alles wie
vor einem Jahre und gingen besorgt nach Hause, eingehüllt in Jacken, Joppen
und Schals, im Innersten Gott dankend, daß er der Welt Winter und Schneestürme
gegeben habe und mit seiner Macht wenigstens so der Gewalt der Gewaltigen eine
Grenze setze.
    Und als das Frühjahr anbrach, da kam
nicht Abidaga, sondern es traf ein neuer Beauftragter des Wesirs, Arif Beg,
gemeinsam mit Tosun Effendi ein. Abidaga war gerade das geschehen, wovor er
sich so sehr gefürchtet hatte. Irgend jemand, irgendeiner, der ihn gut kannte
und alles aus der Nähe gesehen, hatte dem Großwesir genaue und erschöpfende
Angaben über sein Verhalten an der Wischegrader Brücke gemacht. Der Wesir war
genau davon unterrichtet, daß in diesen zwei Jahren jeden Tag zwischen zwei-
und dreihundert Fronarbeiter ohne einen Pfennig Lohn, häufig auch bei eigener
Verpflegung, gearbeitet hät ten, während Abidaga das Geld des Wesirs für sich
behalten hatte. (Man hatte auch die Summe Geldes errechnet, die er sich bis
jetzt angeeignet.) Seine Unehrlichkeit hätte er, wie das oft im Leben
geschieht, hinter großem Eifer und übertriebener Strenge verborgen, so daß das
Volk dieses ganzen Gebietes, nicht nur die Rajas, nein auch die Türken, statt
die große Stiftung zu segnen, sowohl die Stunde, in der der Bau begonnen, als
auch den, der ihn errichtet, verfluchten. Mehmed Pascha, der sein ganzes Leben
lang gegen den Diebstahl und die Unehrlichkeit seiner Beamten gekämpft hatte,
befahl dem untreuen Beauftragten, die ganze Summe zu erstatten, mit dem Rest
seiner Habe und mit seinem Harem aber sofort in ein kleines Dorf in Anatolien
zu ziehen und sich lebend nicht wieder hören zu lassen, wenn er nicht wolle,
daß ihm noch Schlimmeres widerfahre.
    Zwei Tage nach Arif Beg traf auch
Meister Antonio aus Dalmatien mit den ersten Arbeitern ein. Tosun Effendi
stellte ihn dem neuen Beauftragten vor. An einem strahlenden und warmen
Apriltag schritten sie den Bau ab und teilten die ersten Arbeiten ein. Als
sich Arif Beg zurückzog und die beiden allein am Ufer zurückblieben, schaute
Meister Antonio Tosun Effendi genauer ins Gesicht, der auch an einem so
sonnigen Tage fest in einen langen schwarzen Mantel gehüllt war.
    »Das ist eine ganz andere Art
Mensch. Gott sei Dank! Nur frage ich mich, wer so klug und kühn war, dem großen
Wesir alles zu sagen und dieses Vieh abzuhalftern.«
    Tosun Effendi blickte vor sich hin
und sagte ruhig:
    »Dieser ist zweifellos besser.«
    »Das muß jemand gewesen sein, der
Abidagas Arbeit gut kannte und Zugang zum Wesir hat und sein Vertrauen
genießt.«
    »Sicher, sicher, dieser ist besser«,
antwortete Tosun Effendi, ohne den Blick seiner gesenkten Augen zu heben, und
wickelte sich noch fester in seinen Mantel.
    So begann die Arbeit unter dem neuen
Beauftragten Arif Beg.
    Das war wirklich ein ganz anderer
Mensch. Außergewöhnlich langbeinig, gebeugt, bartlos, mit vorstehenden
Backenknochen und schräg stehenden schwarzen und lachenden Augen. Das Volk
taufte ihn sofort Glattgesicht. Ohne Geschrei, ohne Stock, ohne grobe Worte und
sichtbare Anstrengung befahl und teilte er ein, lächelnd und unbesorgt, wie aus
unsichtbarer Höhe, aber nichts ließ er durchgehen oder verlor es aus den Augen.
Auch er verbreitete um sich jene Atmosphäre strengen Eifers für alles, was
Wille und Befehl des Wesirs, nur war er ein ruhiger, gesunder und ehrlicher
Mensch, der nichts zu scheuen oder zu verstecken hatte und andere nicht zu
erschrecken und zu verfolgen brauchte. Die Arbeit verlief mit der gleichen
Schnelligkeit (denn gerade Schnelligkeit

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