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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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wünschte der Wesir), Fehler wurden mit
der gleichen Strenge bestraft, aber die unbezahlte Fronarbeit hörte mit dem
ersten Tage auf. Alle Arbeiter wurden bezahlt und erhielten Verpflegung in Mehl
und Salz, und alles ging besser und schneller als zu Abidagas Zeiten. Auch
jene irre Ilinka war verschwunden: sie hatte sich im Winter irgendwo auf dem
Dorfe verloren.
    Der Bau wuchs und breitete sich aus.
    Jetzt sah man, daß die Stiftung des
Wesirs nicht nur eine Brükke, sondern auch eine Herberge, ein Karawan-Serail
sein würde, in dem die Reisenden aus der Ferne, die über die Brücke kämen,
Unterkunft für sich, für ihre Pferde und ihre Wagen finden, wenn sie hier von
der Nacht überrascht würden. Nach Arif Begs Anweisungen begann der Bau des Karawan-Serail.
Am Eingang zur Stadt, zweihundert Schritte von der Brücke, dort, wo der Anstieg
beginnt, über den der Weg auf den Mejdan führt, liegt eine Hochfläche, auf der
bisher mittwochs der Viehmarkt abgehalten wurde. Auf dieser Fläche begann man
den Bau des neuen Rasthauses, des Chan. Die Arbeit ging langsam voran; aber
schon aus den Anfängen konnte man sehen, daß es sich um ein festes, reiches
Gebäude handelte, in großen und weiten Linien erdacht. Die Menschen bemerkten
gar nicht, wie der große Chan aus Stein langsam aber stetig wuchs, denn der Bau
der Brücke zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich.
    Was jetzt an der Drina gearbeitet
wurde, war so verwickelt, alle Arbeiten griffen so ineinander und waren nur
mittelbar mit der Brücke verbunden, daß die Müßiggänger aus der Stadt, die vom
Ufer die Arbeiten wie irgendeine Naturerscheinung betrachteten, ihnen nicht
mehr mit Verständnis zu folgen vermochten. Neue Dämme und Schanzen wurden in
den verschiedensten Richtungen aufgeworfen, der Fluß in Rinnen und Kanäle
aufgeteilt und aus einem Bett in das andere übergeführt. Meister Antonio
brachte aus Dalmatien besonders kunstfertige Seiler und kaufte allen Hanf,
sogar in den Nachbarkreisen, auf. Diese Meister drehten in besonderen Gebäuden
Seile ungewöhnlicher Stärke und Dicke. Griechische Zimmerleute bauten nach
seinen und Tosun Effendis Plänen große hölzerne Kräne mit Seilwinden, setzten
sie auf Flöße und hoben an diesen Seilen auch die schwersten Steinblöcke und
schafften sie zu den Pfeilern, die der Reihe nach aus dem Flußbett
emporwuchsen. Vier Tage wenigstens brauchte ein jeder dieser großen Blöcke vom
Ufer bis zu seinem Platz in den Fundamenten des Brückenpfeilers.
    Während sie alles dies Tag für Tag,
Jahr für Jahr betrachteten, begannen unsere Leute, den Überblick über die Zeit
und die wahren Absichten des Baumeisters zu verlieren. Es schien ihnen, daß der
Bau nicht nur nicht vorwärts schreite, sondern sich immer mehr in
irgendwelchen nebensächlichen Hilfsarbeiten verwirre und verliere, und je länger
es dauere, desto weniger dem gleiche, was er sein sollte. Menschen, die selbst
nichts arbeiten und im Leben nichts unternehmen, verlieren leicht die Geduld
und verfallen in Fehler, wenn sie fremde Arbeit beurteilen sollen. Die
Wischegrader Türken begannen wieder, die Achseln zu zucken und mit der Hand
abzuwinken, wenn sie von der Brücke sprachen. Die Christen schwiegen, aber sie
betrachteten den Bau mit schadenfrohen und hinterhältigen Gedanken im Herzen
und wünschten ihm Mißerfolg, wie jedem türkischen Unternehmen. Etwa zu dieser
Zeit schrieb der Abt des Klosters Banja bei Priboj auf die letzte, leere Seite
seines Monatsbuches (Menäum): »Es sey allen kundgethan, daß Memet Pascha eine
Brücke bauet über die Drina zu Wischegrad. Und es geschahe allda eine große
Gewalt dem Christenvolk von den Türken und schwere Fronarbeit. Vom Meere
holeten sie die Meister herbei. Dreier Jahre lang baueten sie und viele
Schärflein verbraucheten sie. Das Wasser zweiteileten und dreiteileten sie,
aber eine Brücke kunnten sie nit schlagen.«
    Die Jahre vergingen, es wechselten
Sommer und Herbste, Winter und Frühjahre einander ab, die Arbeiter und Meister
kamen und gingen. Jetzt war die ganze Drina überwölbt, aber nicht mit einer
Brücke, sondern mit einem hölzernen Gerüst, das einem sinnlosen Gewirr
fichtener Balken und Bretter glich. Auf der einen wie auf der anderen Seite
bemerkte man hohe, hölzerne Kräne, getragen von gut gebundenen Flößen. Auf
beiden Ufern des Flusses rauchten die Feuer, auf denen das Blei geschmolzen wurde,
mit dem man die Fugen in den Steinplatten ausgoß und unsichtbar Stein mit Stein
verband.
    Am Ende

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