Ivo Andric
»auch dieses Wunder wird
eines Tages geschehen.«
»Ja, wenn Welji Lug nach Nesuke
hinuntersteigt!« antwortete das Mädchen mit neuem Kichern und einer stolzen
Wendung des Körpers, die nur solchen Frauen und in diesem Alter eigen ist und
die mehr sagte als ihre Worte und ihr Lachen.
So fordern von der Natur besonders
reich beschenkte Geschöpfe oft kühn und unbedacht das Schicksal heraus. Ihre
Antwort an den jungen Hamsitsch wurde bekannt und von Mund zu Mund wiederholt
wie alles übrige, das sie tat und sprach.
Die Hamsitsch sind keine Menschen,
die vor der ersten Schwierigkeit umkehren und mutlos werden. Auch andere,
weniger wichtige Geschäfte erledigen sie nicht unmittelbar im Sturm, wieviel
weniger aber eine Frage wie diese. Der Versuch, den sie über einige Verwandte
in der Stadt machten, brachte nicht mehr Erfolg. Dann aber nahm der alte
Mustajbeg Hamsitsch die Verheiratung seines Sohnes in die Hand. Er hatte mit
Awdaga seit je gemeinsame Geschäfte. Durch seine hitzige und stolze Art hatte
Awdaga in der letzten Zeit bedeutende Verluste erlitten, aus denen sich
Verpflichtungen ergaben, denen er nur mit Mühe rechtzeitig nachkommen konnte.
Mustajbeg half undunterstützte, wie nur gute Stadtleute einander in schweren
Augenblicken zu stützen und zu helfen vermögen: einfach, natürlich und ohne
Worte.
In diesen halbdunklen und kühlen
Magazinen und auf den glatten Steinsitzen vor ihnen werden nicht nur Fragen des
Geldes und der kaufmännischen Ehre, sondern auch ganze Menschengeschicke
entschieden. Was zwischen Awdaga Osmanagitsch und Mustajbeg Hamsitsch geschah,
wie Mustajbeg für seinen einzigen Sohn Nail um Fata bat und wie ihm der heftige
und ehrliebende Awdaga das Mädchen »gab«, das wird niemand je erfahren. Ebenso
erfuhr man nie ganz, wie sich die Dinge oben auf dem Welji Lug zwischen dem
Vater und seiner schönen einzigen Tochter abspielten. Von irgendeinem Widerstand
ihrerseits konnte natürlich keine Rede sein. Ein Blick voll schmerzlicher
Überraschung, nur jene trotzige, ihr eigene Wendung des ganzen Körpers, und
dann ein stummes und taubes Beugen unter den väterlichen Willen, wie es überall
und je bei uns gewesen. Wie im Traum begann sie, ihre Brautausstattung zu
lüften, zu ergänzen und zu ordnen.
Auch aus Nesuke drang kein Wort in
die Welt. Die vorsichtigen Hamsitsch suchten nicht, daß ihnen die Leute in
leeren Reden ihren Erfolg bestätigten. Sie hatten erreicht, was sie wollten,
und, wie immer, waren sie mit ihrem Erfolg zufrieden. Sie brauchten dazu
niemandes Teilnahme, wie sie auch in Unglücksfällen und Mißerfolgen niemals
Mitgefühl suchten.
Dennoch sprachen die Leute über
alles dies, viel, umständlich und rücksichtslos, wie die Leute eben reden. In
der ganzen Stadt und um sie herum sprach man davon, wie die Hamsitsch erreicht
hätten, was sie wollten; wie Awdagas schöne, stolze und kluge Tochter, der in
ganz Bosnien kein Freier gut genug war, überlistet und gebändigt sei; daß nun
doch »der Welji Lug nach Nesuke hinuntersteigen« werde, auch wenn sich Fata
offen verschworen hatte, er würde es nie tun. Denn die Leute lieben solche
Gespräche über Fall und Erniedrigung jener, die sich zu hoch erheben.
Einen Monat lang redete alle Welt
von diesem Ereignis und spülte sich mit Fatas künftiger Erniedrigung das Maul
wie mit einem süßen Wasser. Einen Monat lang wurde in Nesuke und auf dem Welji
Lug alles vorbereitet.
Einen Monat lang arbeitete Fatima
mit ihren Freundinnen, Verwandten und den Stickerinnen an ihrer Aussteuer. Die
Mädchen sangen. Und auch sie sang. Auch dazu fand sie die Kraft. Und sie hörte
sich selbst singen und dachte dabei ihre eigenen Gedanken. Denn mit jedem
Nadelstich wußte sie (und sie wiederholte es sich ständig), daß weder sie noch
ihre Stickerei jemals Nesuke sehen würden. Das vergaß sie keinen Augenblick.
Nur schien es ihr bei Arbeit und Lied, daß es vom Welji Lug bis nach Nesuke
weit und ein Monat eine lange Frist sei. Das gleiche geschah des Nachts.
Nachts, wenn sie unter dem Vorwand, sie müsse noch etwas arbeiten, allein
geblieben war, nachts öffnete sich vor ihr die Welt, reich, voller Licht und
erfreulicher Änderungen, unabsehbar.
Die Nächte auf dem Welji Lug sind
warm, aber frisch. Die Sterne sind niedrig und unruhig, alle verbunden durch
einen weißen funkelnden Schein. Am Fenster stehend, blickt Fata in diese Nacht.
Im ganzen Körper empfindet sie eine ruhige, süße Kraft, die sich ausbreitet,
sie spürt jeden Teil
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