Ivo Andric
Fata geschah das nicht, denn für sie fand sich ein
Bewerber, der sowohl die Kühnheit besaß, sie zu begehren, als auch die
Kunstfertigkeit und Ausdauer, sein Ziel zu erreichen.
In jenem unregelmäßigen Kreis, den
der Wischegrader Kessel bildet, liegt, genau an der entgegengesetzten Seite vom
Welji Lug, der Weiler Nesuke.
Oberhalb der Brücke, eine knappe
Wegstunde flußaufwärts, mitten zwischen jenen steilen Bergen, aus denen die
Drina wie aus einer dunklen Wand in scharfer Kehre herausbricht, liegt ein
schmaler Streifen guten, fruchtbaren Bodens am steinigen Flußufer. Das ist eine
Anschwemmung des Flusses und steiler Gebirgsbäche von den Butkower Felsen. Auf
ihr liegen Äcker und Gärten und am Hang steile Wiesen mit dünnem Gras, die sich
nach den Gipfeln in Steinfelder und dunkles Gestrüpp verlieren. Der ganze
Weiler ist Eigentum der Beg Hamsitsch, die sich auch Turkowitsch nennen. Auf
der einen Hälfte leben in fünf bis sechs Häusern Hintersassen, und auf anderen
sind die Häuser der Beg Hamsitsch, mit Mustajbeg Hamsitsch an der Spitze. Der
Weiler liegt eingeschmiegt in den Schatten, ohne Sonne, aber auch ohne Wind,
reicher an Obst und Heu als an Weizen. Auf allen Seiten von hohen, steilen Bergen
umschlossen und eingeengt, liegt er den größeren Teil des Tages im Schatten,
immer aber in der Stille, so daß jeder Hirtenruf und jeder stärkere Glockenton
des Viehs als lautes und vielfaches Echo von den Bergen zu hören ist. Zu ihm
führt nur ein einziger Weg aus Wischegrad. Wenn man, aus der Stadt kommend, die
Brücke überschreitet und die Hauptstraße verläßt, die sich nach rechts wendet,
dann zum Flußufer selbst hinuntersteigt, so stößt man auf einen schmalen,
steinernen Pfad, der von der Brücke nach links am öden Hang längs der Drina
unmittelbar neben dem Wasser wie ein weißer Saum auf dem dunklen Abhang verläuft,
der steil zum Fluß abfällt. Ein Reiter oder Fußgänger auf diesem Weg scheint,
von der Brücke gesehen, auf einem schmalen Balken zwischen Wasser und
Felsgeklüft zu gehen, und sein Bild spiegelt sich ständig im ruhigen grünen
Fluß.
Dieser Weg führt aus der Stadt nach
Nesuke, von Nesuke aber gibt es keinen weiteren Weg, es gibt auch nichts, wohin
er führen noch wer ihn benutzen sollte. Nur oberhalb der Häuser sind in den
steilen, mit schütterem Wald bewachsenen Hang zwei tiefe Rinnen eingeschnitten,
in denen die Hirten hinaufklettern, wenn sie zum Vieh in die Berge gehen.
Hier liegt das große weiße Haus des
Ältesten Hamsitsch, des Mustajbeg. Es ist um nichts kleiner als das der Osmanagitsch
auf dem Welji Lug, aber zum Unterschied von diesem völlig unsichtbar in dieser
Niederung und im Dickicht an der Drina. Im Halbkreis um das Haus wachsen elf
hohe Pappeln, die mit ihrem Rauschen und Schwanken ständig diese auf allen
Seiten umschlossene und schwer zugängliche Landschaft beleben. Unter ihm
stehen, nur wenig kleiner und bescheidener, die Häuser der anderen beiden
Brüder Hamsitsch. Alle Hamsitsch haben viele Kinder, und alle sind sie dünn,
groß, bleich im Gesicht, schweigsam und zurückhaltend, aber einmütig und
fleißig bei der Arbeit, gewöhnt, das zu schätzen und zu verteidigen, was ihres
ist. Ebenso wie die wohlhabenderen Leute vom Welji Lug, haben auch sie in der
Stadt ihre Magazine, in die sie alles bringen, was sie in Nesuke
erwirtschaften. Zu jeder Jahreszeit wimmeln und schwärmen sie und ihre
Hintersassen wie Ameisen auf diesem schmalen Pfad neben der Drina, die einen
tragen Ware in die Stadt, und die anderen kehren nach abgeschlossenem
Geschäft mit Geld im Gürtel in ihr unsichtbares Dorf zwischen den Bergen
zurück.
Bei Mustajbeg Hamsitsch, in jenem
weißen und großen Hause, das den Wanderer wie eine angenehme Überraschung am
Ende dieses steinernen Pfades erwartet, der nirgendwo hinzuführen scheint, sind
vier Töchter und ein einziger Sohn, Nail. Dieser Nailbeg aus Nesuke, der
einzige Sohn des Beg, hatte als einer der ersten sein Auge auf Fatima vom Welji
Lug geworfen. Auf irgendeiner Hochzeit hatte er sich in ihre Schönheit durch eine
aufgeknarrte Tür verschaut, an der wie eine Traube eine ganze Schar
begeisterter Burschen hing. Als er sie das nächstemal wieder erblicken konnte,
umgeben von Freundinnen, rief er ihr in kühnem Scherz zu:
»Gebe Gott, daß dich Mustajbeg aus
Nesuke Schwiegertochter nennen möge!«
Fata kicherte unterdrückt.
»Du brauchst nicht zu lachen«, sagte
der aufgeregte Bursche durch die schmale Türöffnung,
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