Ivo Andric
kämen.
»Meine Vorfahren haben sich nie
taufen lassen, also werde auch ich es nicht tun. Ich, Effendi, werde mich weder
mit dem Schwaben taufen lassen noch mit einem Narren in den Krieg riehen«,
antwortete ihm ruhig der Hodscha.
Alle angesehenen Türken in
Wischegrad waren der gleichen Ansicht wie auch Alihodscha, aber sie alle
hielten es nicht für angebracht, das auszusprechen, wenigstens nicht so scharf
und unverblümt. Sie fürchteten sich vor den herankommenden Österreichern, aber
auch vor Karamanli, der mit seiner Abteilung die Stadt beherrschte. Daher
schlossen sie sich in ihre Häuser ein und verbargen sich auf den Landgütern
außerhalb der Stadt. Wenn sie aber einer Begegnung mit Karamanli nicht aus dem
Wege gehen konnten, dann senkten sie die Augen, heuchelten Zustimmung und
suchten nur den günstigsten Anlaß und die sicherste Art, sich aus der Affäre zu
ziehen.
Auf dem Plateau, vor den Ruinen des
Karawan-Serail, hielt Karamanli vom Morgengrauen bis zum Dunkelwerden unaufhörlich
Versammlungen ab. Hier bewegte sich stets ein bunter Haufe Volkes: Karamanlis
Leute, Passanten, jene, die gekommen waren, um etwas vom neuen Herrn der Stadt
zu erbitten, dann Vorübergehende, die die Aufständischen, mit mehr oder weniger
Gewalt, herangeholt hatten, um ihren Vorgesetzten zu hören. Karamanli aber
redete ständig. Auch wenn er nur zu einem einzelnen sprach, schrie er, als
spräche er zu Hunderten. Er war noch bleicher, rollte mit den Augen, deren
Weißes sich merklich gelb gefärbt hatte, und in seinen Mundwinkeln sammelte
sich weißer Schaum. Einer der Städter erzählte ihm die Volkssage der
Mohammedaner vom Schechit Turhani, dem Kämpfer und Märtyrer für den Islam, der
hier vor grauen Zeiten gefallen sei, als er einem Ungläubigenheer den Übergang
über die Drina verwehrte, jetzt aber in seinem Grabe liege, drüben am anderen
Ufer der Drina, unmittelbar oberhalb der Brücke, und zweifellos in dem
Augenblick auferstehen würde, da der erste Soldat der Ungläubigen die Brücke
betrete. Karamanli griff sofort diese Legende auf und setzte sie dem Volke als
unerwartete und wirkliche Hilfe vor.
»Brüder, diese Brücke ist ein
Vermächtnis des Wesirs. Es steht geschrieben, daß keine Macht der Ungläubigen
sie je überschreiten wird. Wir verteidigen sie nicht allein, nein, mit uns
geht jener Schechit Turhani, den kein Gewehr treffen und kein Säbel schlagen
kann. Wenn der Feind herankommt, dann wird er dort aus seinem Grabe
auferstehen, sich auf die Brücke stellen und die Arme ausbreiten, die Schwaben
aber werden bei seinem An blick in den Knien schwach werden, das Herz wird
ihnen plötzlich aussetzen, und sie werden vor Furcht nicht einmal fliehen
können. Türkische Brüder, geht nicht auseinander, sondern folgt mir alle auf die
Brücke!«
So schrie Karamanli vor dem
versammelten Volke. Steif, in seinem schwarzen, abgetragenen Gewand, die Arme
ausgebreitet, um zu zeigen, wie jener Schechit dastehen würde, sah er aus wie
ein hohes, schwarzes und dünnes Kreuz mit einem Turban auf der Spitze.
Das alles wußten die Wischegrader
Türken, besser sogar als Karamanli, denn jeder von ihnen hatte diese Sage in
seiner Kindheit oft gehört und wiedererzählt, aber sie zeigten nicht die geringste
Lust, das Leben mit der Sage zu vermischen und auf die Hilfe der Toten zu
rechnen, wo niemand von den Lebenden zu helfen vermochte. Alihodscha, der
seinen Laden nicht verließ, dem aber die Leute alles erzählten, was vor dem
Steinernen Chan gesprochen wurde und geschah, winkte nur mit einer traurigen
und bedauernden Geste ab.
»Ich habe es gewußt, daß dieser Narr
weder Lebende noch Tote unbehelligt lassen wird. Gott sei uns gnädig!«
Karamanli aber, ohnmächtig gegenüber
dem wirklichen Feind, richtete seine ganze Wut gegen Alihodscha. Er drohte,
schrie und verschwor sich, er werde, noch ehe er die Stadt verlassen müsse, den
widerspenstigen Hodscha auf der Kapija wie einen Dachs festnageln, damit er so
die Schwaben empfange, gegen die er nicht habe kämpfen noch andere kämpfen
lassen wollen.
Diesen ganzen Streit unterbrachen
die Österreicher, die sich auf den Hängen der Lijeska zeigten. Nun sah man ein,
daß sich die Stadt in der Tat nicht verteidigen ließ. Karamanli war der letzte,
der aus der Stadt ging, auf dem erhöhten Plateau vor dem Karawan-Serail die
beiden Geschütze zurücklassend, die er bis hierher mitgebracht hatte. Aber noch
ehe er abzog, erfüllte er seine Drohung. Er befahl seinem Burschen,
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