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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Schmied von
Beruf, einem Menschen von riesenhaftem Wuchs und Hühnerverstand, er solle
Alihodscha fesseln und, so gefesselt, mit dem rechten Ohr an jenem Eichenbalken
festnageln, der von dem einstigen Blockhaus, eingepreßt zwischen zwei
Steinstufen, auf der Kapija übriggeblieben war.
    In jenem allgemeinen Gedränge und
Durcheinander, das auf dem Markt und um die Brücke herrschte, hörten zwar alle
den lauten Befehl, aber niemand verstand ihn, als müsse er so ausgeführt
werden, wie er gegeben war. Was wird nicht alles geredet und welche groben
Worte und furchtbaren Flüche hört man nicht in solchen Zeiten? So war es auch
hiermit. Zuerst erschien es völlig unwahrscheinlich, mehr als Drohung, als
Schimpfen oder etwas Ähnliches. Nicht einmal Alihodscha nahm es besonders
ernst. Selbst der Schmied, dem es befohlen und der damit beschäftigt war, die
Geschütze zu verkeilen, schien zu zögern und nachzudenken. Aber der Gedanke,
daß man den Hodscha auf der Kapija festnageln müsse, war aufgetaucht, und in
den Köpfen dieser verhetzten und verbitterten Menge wurden die Aussichten und
Möglichkeiten für die Ausführung und Nichtausführung eines solchen Verbrechens
gegeneinander abgewogen. Wird man – wird man nicht! Anfangs schien das den meisten,
wie es auch war, sinnlos, häßlich und unmöglich. Aber in diesen Augenblicken
allgemeiner Erregung mußte irgend etwas geschehen, etwas Großes,
Ungewöhnliches, und nur dies war zu tun möglich. Wird man nicht – oder wird man
etwa doch? Diese Möglichkeit verdichtete sich immer mehr und wurde mit jeder
Minute und jeder Bewegung immer wahrscheinlicher und natürlicher. Warum sollte
man schließlich nicht? Zwei Mann hielten schon den Hodscha, der sich nicht
einmal viel wehrte. Sie banden ihm die Hände auf den Rücken. Alles das war
noch weit entfernt von einer solchen furchtbaren und irrsinnigen Wirklichkeit.
Aber es kam ihr schon immer näher. Der Schmied, als schäme er sich plötzlich
seiner Schwäche und Unentschlossenheit, holte von irgendwoher den Hammer
hervor, mit dem er noch bis eben die Geschütze verkeilt hatte. In dem Gedanken,
daß der Schwabe sozusagen bereits da sei, nur eine halbe Stunde Weges von der
Stadt, fand der Schmied die Entschlossenheit, dies wirklich bis zum Ende
auszuführen. Und aus dem gleichen schmerzlichen Gedanken schöpfte der Hodscha
seinen trotzigen Gleichmut gegenüber allem, auch gegenüber dieser unverdienten,
unsinnigen und schmachvollen Strafe, der sie ihn unterwarfen. Und so geschah in
einigen Augenblicken das, was in jedem einzelnen dieser Augenblicke unmöglich
und unwahrscheinlich erschienen war. Niemand hätte das für möglich gehalten
oder gutgeheißen, dennoch trug aber jeder ein wenig dazu bei, daß sich der
Hodscha auf der Brücke wiederfand, mit dem rechten Ohr festgenagelt an einem
hölzernen Balken, der hier auf der Kapija lag. Und als alles vor dem Schwaben,
der zur Stadt herunterkam, geflohen war, da blieb der Hodscha in dieser
sonderbaren, schmerzhaften und lächerlichen Stellung, verurteilt, reglos zu
knien, denn jede, auch die geringste Bewegung schmerzte ihn und drohte, sein
Ohr zu zerreißen, das ihm groß und schwer wie ein Berg zu sein schien. Er rief,
aber niemand war da, ihn zu hören und aus dieser qualvollen Stellung zu
befreien, denn alles Lebendige hatte sich in die Häuser verkrochen oder war
auf die Dörfer gegangen, aus Furcht vor dem einrückenden Schwaben und ebenso
großer Furcht vor den abrückenden Aufständischen. Die Stadt schien
ausgestorben und die Brücke verlassen, als habe der Tod alles ausgelöscht. Kein
Lebender oder Toter war da, sie zu verteidigen, nur auf der Kapija hockte der
reglose Alihodscha, mit dem Kopf an einen Balken genagelt, vor Schmerzen
stöhnend, und ersann auch in dieser Lage noch neue Beweise gegen Karamanli.
    Die Österreicher rückten langsam
heran. Ihre Vorhuten erblickten vom anderen Ufer vor dem Karawan-Serail neben
der Brücke die beiden Geschütze und machten sofort halt, um ihre
Gebirgsgeschütze zu erwarten. Gegen Mittag schossen sie aus einem Wäldchen auf
das verlassene Karawan-Serail einige Granaten, die den auch so schon
baufälligen Chan beschädigten und jene ungewöhnlich zarten, in einem Stück aus
weichem Stein geschnittenen Fenstergitter zerstörten. Erst nachdem sie die beiden
türkischen Geschütze genau angemessen, umgeworfen und gesehen hatten, daß sie
verlassen waren und niemand antwortete, stellten die Schwaben das Feuer ein
und begannen,

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