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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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einigen seiner Leute, aber um so größerem Eifer, um in Bosnien den
Wider stand gegen die Österreicher zu organisieren. Der ernsthafte blonde Mann
mit dem ruhigen, gefaßten Aussehen und einer doch feurigen Natur saß auf der
Kapija, wohin er an einem schönen Sommertage die angesehensten Türken der Stadt
zusammengerufen hatte. Er bemühte sich, sie für den Kampf gegen die
Österreicher zu begeistern. Er versicherte ihnen, daß der größte Teil des
regulären Heeres trotz den amtlichen Befehlen bleiben würde, um sich gemeinsam
mit dem Volke dem neuen Eroberer entgegenzustellen. Er forderte alle jüngeren
Leute auf, sich ihm sofort anzuschließen, und verlangte, man solle ihm
Verpflegung nach Sarajewo schicken. Der Mufti wußte, daß die Wischegrader
niemals den Ruhm genossen hatten, begeisterte Krieger zu sein, und daß sie ein
leichtsinniges Leben einem leichtsinnigen Sterben vorziehen. Dennoch
überraschten ihn die Lauheit und Zurückhaltung, auf die er stieß. Da er sich
nicht länger aufhalten konnte, drohte der Mufti ihnen mit dem Volksgericht und
dem Zorn Gottes und ließ seinen Gehilfen, Osman Effendi Karamanli, zurück,
damit er die Wischegrader Türken weiter von der Notwendigkeit ihrer Teilnahme
am allgemeinen Aufstand überzeuge.
    Schon während der Gespräche mit dem
Mufti hatte Alihodscha Mutewelitsch den heftigsten Widerstand gezeigt. Seine
Familie war eine der ältesten und angesehensten in der Stadt. Sie zeichnete
sich nie durch großen Besitz aus, sondern durch ihre Ehrlichkeit und
Offenheit. Seit je galten sie als Dickschädel, aber unzugänglich jeglicher
Bestechung, Furcht, Schmeicheleien oder irgendwelchen anderen niedrigeren
Rücksichten oder Beweggründen. Über zweihundert Jahre lang war das älteste
Mitglied ihrer Familie »Mutewelija«, der Hüter und Verwalter der Stiftung
Mehmed Paschas in der Stadt, gewesen. Er hatte den berühmten Steinernen Chan
neben der Brücke verwaltet. Wir haben gesehen, wie der Steinerne Chan mit dem
Verlust Ungarns seine Einkünfte, aus denen er erhalten wurde, einbüßte, und wie
er durch das Zusammentreffen der Umstände zur Ruine wurde, so daß von der
Stiftung des Wesirs nur die Brücke blieb, als öffentliches Gut, das keine
besondere Pflege erforderte und keine Einnahmen trägt. Es blieb aber auch den
Mutewelitsch ihr Familienname als stolze Erinnerung an das Amt, das sie viele
Jahre hindurch so ehrenvoll versehen. Das Amt erlosch in der Tat bereits
damals, als Dauthodscha in seinem Kampf um die Erhaltung des Steinernen Chan
unterlag, der Stolz aber war geblieben und mit ihm die angeborene Gewohnheit,
daß sich die Mutewelitsch vor allen anderen berufen fühlten, sich um die Brücke
zu kümmern, und daß sie sich irgendwie für ihr Schicksal verantwortlich
fühlten, war doch die Brücke, zumindest als Bauwerk, Bestandteil der großen
und schönen Stiftung, die sie verwaltet hatten und die so traurig erloschen und
verfallen war. Und noch eine Gewohnheit war seit alters in der Familie
festgelegt,daß in jeder Generation wenigstens einer der Mutewelitsch die
Schule besuchte und Ulema 14 wurde. Nun war dies Alihodscha. Ansonsten waren sie ziemlich klein geworden an
Zahl und an Besitz. Geblieben waren ihnen ein paar Hintersassen und ein Laden,
den sie seit alters in der Stadt, an bester Stelle, unmittelbar auf dem Markt
in der Nähe der Brücke besaßen. Alihodschas beide älteren Brüder waren im
Krieg gefallen, der eine in Rußland, der andere in Montenegro.
    Alihodscha war ein noch junger Mann,
lebhaft, heiter und vollblütig. Als echter Mutewelitsch hatte er in der Regel
in allen Dingen eine eigene Meinung, die er hartnäckig verteidigte und bei der
er hartnäckig verblieb. Wegen seiner geraden Natur und Selbständigkeit im
Denken geriet er oft mit dem städtischen Ulema und den Stadtältesten in Streit.
Er hatte Amt und Titel eines Hodscha, aber weder übte er dieses Amt aus noch
hatte er daraus irgendwelche Einkünfte. Um möglichst unabhängig zu sein,
leitete er selbst den Laden, der ihm vom Vater überkommen war.
    Wie die meisten Wischegrader
Mohammedaner war auch Alihodscha gegen einen bewaffneten Widerstand. In seinem
Falle konnte weder von Feigheit noch von Lauheit in Glaubenssachen die Rede
sein. Genau wie der Mufti oder sonst jemand der Aufständischen haßte er die
fremde christliche Macht, die da kommen sollte, und alles, was sie bringen
würde.Aber da er sah, daß der Sultan in der Tat Bosnien dem Schwaben 15 überließ, und er auch seine

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