Ivo Andric
Furchen begannen sich im Kreise um ihn
zu drehen, als verlöre er das Bewußtsein, aber die ruhige Stimme des Fremden
rief ihn wieder zu sich.
»Otuz bir! Der Acker ist mein.«
Nun kamen die anderen Äcker an die
Reihe, dann beide Häuser, dann der Eichenhain in Osojnitza. In der Bewertung
waren sie sich gewöhnlich einig. Manchmal gewann auch Milan und strich die
Dukaten ein. Dann blitzte ihm wie Gold die Hoffnung auf, aber nach zwei bis
drei unglücklichen »Spielen« hatte er sein Geld verloren und setzte wieder
seinen Besitz.
Als das Spiel wie ein Sturzbach
alles fortgetragen, machten beide Spieler einen Augenblick halt, aber nicht, um
Atem zu schöpfen, denn davor fürchteten sie sich schließlich beide, sondern um
nachzudenken, um was sie weiter spielen könnten. Der Fremde war gesammelt, mit
dem Ausdruck eines sorgfältigen Geschäftsmannes, der sich nach der ersten
Hälfte des Geschäftes ausruht, dem es aber eilt, zur zweiten Hälfte
überzugehen. Milan war erstarrt, wie völlig erfroren; das Herz klopfte ihm bis
zum Hals, und der steinerne Sitz unter ihm hob und senkte sich. Da sagte der
Fremde mit seiner eintönigen, langweiligen Stimme, ein wenig durch die Nase:
»Weißt du was, mein Freund? Machen
wir noch ein Spiel, aber diesmal geht es um das Ganze. Ich setze alles, was ich
heute abend gewonnen habe, und du dein Leben. Wenn du gewinnst, dann ist wieder
alles dein, wie es gewesen, Geld, Vieh und Land. Wenn du verlierst, dann
springst du von der Kapija in die Drina.«
Und das sprach er genauso trocken
und geschäftsmäßig wie alles übrige, als handle es sich um die gewöhnlichste
Verabredung zwischen zwei Spielern, die ihrer Leidenschaft verfallen sind.
Nun geht es um die Seele, dachte
Milan und machte Anstrengungen, sich zu erheben und sich diesem unverständlichen
Wirbel zu widersetzen, der alles fortgetragen und nun auch ihn mit
unwiderstehlicher Kraft in sich hineinriß, aber der Fremde zwang ihn mit einem
einzigen Blick auf seinen Platz zurück. Und, als spielten sie im Chan, um einen
Einsatz von drei, vier Groschen, nickte er mit dem Kopf und streckte die Hand
aus. Beide zogen sie Karten. Der Fremde eine Vier und Milan eine Zehn. An ihm
war es, Karten zu geben. Das erfüllte ihn mit Hoffnung. Er gab, und der Fremde
forderte immer mehr Karten.
»Noch! Noch! Noch!«
Fünf Karten hatte er genommen, und
erst dann sagte er: »Genug!« Nun zog Milan. Als er bis achtundzwanzig gekommen
war, unterbrach er einen Augenblick und betrachtete die zusammen gelegten
Karten des Fremden und dessen rätselhaftes Gesickt. Nicht einmal ahnen konnte
man, auf wieviel er stehengeblieben, aber es war sehr wahrscheinlich, daß er
mehr als achtundzwanzig hatte, erstens, weil er heute abend nicht auf niedrigen
Zahlen stehen blieb, zweitens, weil er fünf Karten hatte. Seine letzte Kraft
zusammenreißend, nahm Milan noch eine Karte. Es war eine Vier. Also:
zweiunddreißig und aus.
Er starrte, aber er konnte seinen
Augen nicht trauen. Es schien ihm unmöglich, daß alles mit einem Male so
verloren sein sollte. Von den Fußzehen bis zum Scheitel durchströmte ihn etwas
Feuriges und Brennendes. Alles wurde ihm mit einem Male klar: was der Wert des
Lebens, was der Mensch und was seine verfluchte und unerklärliche
Leidenschaft, um Eigenes und Fremdes, um sich selbst und alles um sich herum
zu spielen. Alles war klar und licht wie der Tag, als hätte er geträumt, daß er
gespielt und verloren, aber alles war gleichzeitig wahrhaftig, unwiderruflich
und nicht wieder gutzumachen. Er wollte irgend etwas aussprechen, schreien,
irgend jemand zu Hilfe rufen, wenigstens mit einem Seufzer, aber nicht einmal
soviel Kraft fand er in sich.
Neben ihm wartete der Fremde.
Und da krähte mit einem Male ein
Hahn irgendwo am Ufer, dünn und laut, einmal und sofort auch ein zweites Mal.
Er war so nahe, daß man hörte, wie er mit den Flügeln schlug. Im selben
Augenblick verflogen die umgedrehten Karten wie unter einem Windstoß, löste
sich das Geld auf und zerstob, erzitterte die ganze Kapija in ihren
Grundfesten. Milan schloß die Augen vor Schrecken und glaubte, sein letztes
Stündlein sei gekommen. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, daß er allein
war. Sein Gegenspieler war wie eine Seifenblase zerplatzt, und mit ihm waren
Karten und Geld von der steinernen Bank verschwunden.
Die orangefarbene Sichel des
abnehmenden Mondes schwamm am Grunde des Horizonts. Es erhob sich ein kühler
Wind. Das Rauschen des Wassers in der
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