Ivo Andric
älteste Sohn des
frommen, ehrwürdigen und armen Barbiers Avram Gaon. Er war sechzehn Jahre alt
und hatte noch immer keine ständige Arbeit und keinen festen Beruf gefunden.
Der junge Bursche hatte, anders als alle Gaons, einen »Vogel« im Kopfe, der ihn
in keinem Handwerk seßhaft werden ließ und ihn trieb, überall und in allem
nach etwas Höherem und Schönerem zu suchen. Als er sich setzen wollte, sah er
erst nach, ob der steinerne Sitz auch sauber sei. Da erblickte er in der Fuge
zwischen zwei Platten einen schmalen goldenen Schein. Es war das Gleißen des
Goldes, das den menschlichen Augen so lieb ist. Er blickte genauer hin. Es
konnte kein Zweifel sein: hier war irgendwie ein Goldstück hineingeraten. Der
Bursche blickte sich um, ob ihn auch niemand sähe, und suchte etwas, womit er
den Dukaten, der ihn aus der steinernen Fuge anlachte, herausholen könnte. Aber
sofort erinnerte er sich, daß ja Sabbat sei und daß es Anstoß und Sünde wäre,
irgendeine Arbeit zu verrichten. Erregt und verwirrt saß er auf dieser Stelle
und stand bis zum Mittag nicht auf. Als es aber Zeit zum Mittagessen war und
alle Juden, die alten wie die jungen, nach Hause gegangen waren, fand er einen
stärkeren Strohhalm und holte, Sünde und Feiertag vergessend, den Dukaten
vorsichtig zwischen den beiden Platten hervor. Es war ein guter Kaiserdukaten,
dünn und fast ohne Schwere, wie ein dünnes, trockenes Blatt. Er kam zu spät
zum Mittagessen. Und als er sich am ärmlich gedeckten Tisch niedersetzte, an
dem sie ihrer dreizehn saßen – elf Kinder, der Vater und die Mutter –, hörte er
nicht zu, wie der Vater ihn schalt und einen Tagedieb und Faulenzer hieß, der
nicht einmal zum fertigen Essen rechtzeitig kommen könne. In den Ohren summte
es ihm, und vor seinen Augen gleißte es. Vor ihm eröffneten sich Tage
ungeahnter Üppigkeit, von der er immer geträumt hatte. Es schien ihm, als
trüge er die Sonne in seiner Tasche.
Mit diesem Dukaten ging er am
nächsten Tage, ohne viel zu überlegen, in Ustamujitschs Chan und schob sich in
jenes Zimmerchen, in dem fast zu jeder Tages- und Nachtzeit das Spiel im Gange
ist. Davon hatte er immer geträumt, aber er hatte niemals soviel Geld
besessen, um es wagen und das Glück versuchen zu können. Jetzt konnte er
diesen Traum verwirklichen.
Dort verbrachte er einige
schmerzvolle und erregende Stunden. Anfangs empfingen ihn alle mit Verachtung
und Mißtrauen. Als sie sahen, daß er einen Kaiserdukaten wechselte, dachten sie
sofort, daß er irgend jemand bestohlen, aber sie waren bereit, seinen Einsatz
anzunehmen. (Denn, wenn Spieler der Herkunft von jedermanns Geld nachforschen
wollten, dann könnte nie auch nur ein Spiel zustandekommen.) Aber nun erhob
sich für den Anfänger eine neue Qual. Wenn er gewann, stieg ihm das Blut zu
Kopfe und sein Blick vernebelte sich von Schweiß und Hitze. Erlitt er aber
einen größeren Verlust, dann war ihm, als stocke sein Atem und vergehe sein
Herz. Aber nach allen diesen Qualen, von denen jede wie aussichtslos erschien,
verließ er an diesem Abend den Chan mit vier Dukaten in der Tasche. Wenn er
auch vor Erregung wie zerschlagen und im Fieber war, als hätte man ihn mit
feurigen Ruten gestäupt, so ging er dennoch aufrecht und stolz. Vor seinem
glühenden Blick eröffneten sich weite und glänzende Aussichten, die die Not
seiner Familie verdeckten und die ganze Stadt vom Erdboden löschten. Er ging
wie trunken, mit feierlichem Schritt. Zum ersten Male im Leben fühlte er nicht
nur das Gleißen und den Klang, sondern auch die Schwere des Goldes.
Noch in diesem selben Herbst wurde
Bukus, so jung und grün er war, ein Landstreicher und Berufsspieler und verließ
das elterliche Haus. Der alte Gaon verging vor Schande und Kummer um seinen
erstgeborenen Sohn, und die ganze jüdische Gemeinde empfand dieses Unglück als
das ihre.
Später verließ er die Stadt und ging
in die Welt, seinem bösen Spielerschicksal entgegen. Und niemals wieder, heute
ist es schon vierzehn Jahre her, hat man etwas von ihm gehört. Das hat, so sagt
man, der »Teufelsdukaten« aus ihm gemacht, den er auf der Kapija gefunden und
am Sabbat herausgeholt.
13
Das vierte Jahr der Besatzungszeit war
gekommen. Es schien, als habe sich alles ziemlich beruhigt und »eingespielt«.
Und wenn auch die unwiederbringliche »süße Stille« der türkischen Zeiten nicht
wiederkehrte, so begann doch wenigstens eine Ordnung nach den neuen
Auffassungen einzukehren. Aber dann rührte es sich
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