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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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zu
Ende. Der Haufen Silbergeldes vor ihm wuchs. Die Spieler begannen abzufallen.
Einer bot eine goldene Kette als Einsatz, aber der Fremde wies das kühl ab und
erklärte, es werde nur um Geld gespielt.
    Um die fünfte Betstunde endete das
Spiel, denn niemand hatte mehr bares Geld bei sich. Milan Glasintschanin war
der letzte, aber auch er mußte sich schließlich zurückziehen. Der Fremde
entschuldigte sich höflich und ging auf sein Zimmer.
    Am nächsten Tage spielte man wieder.
Und wieder gewann und verlor der Fremde abwechselnd; gewann aber immer mehr,
als er verlor, so daß die Städter wieder kein Geld behielten. Sie schauten ihm
auf die Hände und Rockärmel, betrachteten ihn von allen Seiten, brachten neue
Karten und wechselten die Plätze auf der Sitzbank, aber es half nichts.Sie
spielten das einfache und übelberüchtigte Spiel »Otuz bir« (einunddreißig 18 ),
das sie alle seit ihrer Kindheit kannten, aber des Fremden Art zu spielen,
konnten sie nicht erfassen. Bald hörte er bei neunundzwanzig oder bei dreißig
auf, bald blieb er auf fünfundzwanzig. Er nahm jeden Einsatz, den kleinsten wie
den höchsten, und ging über kleine Unregelmäßigkeiten der Spieler hinweg, als
sähe er sie nicht, größere aber wies er kühl und ohne viel Worte zurück.
    Milan Glasintschanin quälte und
reizte die Anwesenheit des Fremden im Chan. In diesen Tagen fühlte er sich auch
ohnedies wie zerschlagen und im Fieber. Er verschwor sich, daß er nicht wieder
spielen wolle, dennoch kam er wieder, verlor alles bis auf den letzten Heller
und kehrte voller Zorn und Scham nach Hause zurück. Am vierten oder fünften
Abend gelang es ihm, sich zu beherrschen und zu Hause zu bleiben. Er hatte Geld
bereitgelegt und sich angezogen, blieb aber trotzdem bei seinem ersten
Entschluß. Sein Kopf war schwer und der Atem unruhig. Er aß schnell und viel,
ohne zu wissen, was er aß. Danach ging er ein paarmal vor das Haus, rauchte,
wanderte auf und ab und betrachtete die dunkle Stadt unten in der hellen
Herbstnacht. Lange so auf und ab wandernd, sieht er mit einem Male eine
unsichere Gestalt, die des Weges daherkommt, sich umwendet und vor seinem Zaun
haltmacht.
    »Guten Abend, Nachbar!«, ruft der
Unbekannte. An der Stimme erkennt er ihn, es ist der Fremde aus dem Chan. Der
Mann war offenbar zu ihm gekommen und wollte sich unterhalten. Milan geht zum
Zaun.
    »Du kommst heute abend nicht in den
Chan?« fragte ihn der Fremde ruhig und kühl, wie beiläufig.
    »Ich bin heute nicht recht
aufgelegt. Es sind ja genug Spieler da.«
    »Es ist niemand mehr da. Alle sind
vorzeitig gegangen. Aber, laß uns doch ein Spielchen machen.«
    »Es ist schon spät, und ich wüßte
auch nicht wo.«
    »Wir setzen uns auf die Kapija.
Jetzt wird gleich der Mond aufkommen.«
    »Aber es ist doch nicht die rechte
Zeit dazu«, verteidigte sich Milan, sein Mund ist trocken wie aus Holz und die
Worte, als seien es nicht die seinen.
    Der Fremde stand etwas abseits und
wartete, als dächte er gar nicht daran, daß etwas anders sein könne, als er es
sagte.
    Und wirklich schließt Milan das
Gartentor auf und geht mit dem Mann; obgleich er sich in Worten und Gedanken
mit letzter Willensanstrengung dieser stillen Kraft noch widersetzte, die ihn
zog und der er sich nicht entziehen konnte, so sehr sie ihn auch beleidigte und
in ihm Widerstand und Abneigung gegen den Fremden hervorrief.
    Schnell stiegen sie vom Okolischte
herab. Groß und bereits im Abnehmen, erhob sich in der Tat der Mond hinter
Stanischewatz. Die Brücke sah unendlich und unwirklich aus, ihre Enden
verloren sich im milchigen Nebel, und die Pfeiler versanken nach unten in
Finsternis; die eine Seite jedes Pfeilers und Bogens war grell erleuchtet und
die andere in völligem Schatten; diese beleuchteten und dunklen Flächen brachen
und schnitten sich in scharfen Linien, die ganze Brücke glich einer sonderbaren
Arabeske, entstanden im vergänglichen Spiel aus Licht und Dunkelheit.
    Auf der Kapija war keine
Menschenseele. Sie setzten sich. Der Fremde zog Karten hervor. Milan versuchte,
noch einmal zu sagen, es sei ungünstig, man könne die Karten nicht gut erkennen
und das Geld nicht unterscheiden, aber der Fremde hörte nicht mehr auf ihn. Das
Spiel begann.
    Anfangs sprachen sie noch ein paar
Worte, als aber das Spiel höher wurde, verstummten sie völlig. Sie drehten nur
ihre Zigaretten und zündeten eine an der anderen an. Die Karten gingen ein
paar Male von der einen Hand in die andere, setzten sich aber

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