Ivo Andric
aber
schüchtern wie ein Mädchen. Er diente gerade seine Zeit ab, als sein Regiment
nach Bosnien verlegt wurde. Er hatte in den Kämpfen bei Maglaj und auf dem
Glasinatz gefochten. Danach verbrachte er anderthalb Jahre in den Garnisonen
Ostbosniens. Als aber die Zeit seiner Entlassung kam, fiel es ihm schwer, in
seine galizische Stadt Kolomea und sein Vaterhaus, das reich war an Kindern und
arm an allem übrigen, zurückzukehren. Er war schon in Budapest bei seiner
Einheit, als der Aufruf zum freiwilligen Eintritt in das Streifkorps
veröffentlicht wurde. Als Soldat, der Bosnien aus mehrmonatigen Kämpfen
kannte, wurde Fedun sofort angenommen. Und er freute sich aufrichtig bei dem Gedanken,
daß er die bosnischen Waldlichtungen und Städtchen wieder sehen würde, in
denen er schwere wie frohe Tage verlebt hatte und mit denen ihn jetzt
Erinnerungen verbanden, in denen jene schweren Tage schöner und lebhafter
glänzten als die frohen. Er erhitzte sich vor Freude und blähte sich auf vor
Stolz, wenn er sich die Gesichter der Eltern, Brüdern und Schwestern
vorstellte, wie sie die Silbergulden erhielten, die er ihnen vom reichhaltigen
Streifkorpssold schicken würde. Und zu allem hatte er das Glück, nicht in die
östliche Herzegowina geschickt zu werden, wo die Kämpfe mit den Aufständischen
ermüdend und oft auch sehr gefährlich waren, sondern in die Stadt an der Drina,
wo die ganze Aufgabe nur im Patrouillieren und Wachestehen bestand.
Dort verbrachte er den Winter, oft
stundenlang mit den Füßen stapfend und sich in die Finger hauchend, in den
frostklaren Nächten auf der Kapija, wenn der Stein vor Kälte springt, der
Himmel über der Stadt bleich wird und die großen, herbstlichen Sterne zu kleinen,
bösen Lichtfünkchen werden. Dort erlebte er auch den Frühling und bemerkte
seine ersten Anzeichen auf der Kapija: jenes schwere und dumpfe Bersten des
Eises auf der Drina, das man irgendwo in seinen Eingeweiden spürt, und jenes
hohle Sausen irgendeines neuen Windes, der die ganze Nacht durch die kahlen
Wälder der eng zusammengedrängten Berge oberhalb der Brücke heult.
Der junge Bursche stand Posten, wenn
die Reihe an ihn kam, und fühlte, wie das Frühjahr, das sich in Erde und Wasser
ankündigte, langsam in ihn eindrang, ihm alle Sinne trunken machte und alle
seine Gedanken verwirrte. Er stand auf Posten und sang all die kleinrussischen
Lieder, die man in seiner Heimat singt. Bei diesen Liedern schien es ihm mit
jedem Frühlingstage mehr, als erwarte er irgend jemand an diesem vorgeschobenen
und windumheulten Platze.
Anfang März richtete das Kommando
einen Hinweis an die Abteilung, die die Brücke bewachte, die Aufmerksamkeit zu
verdoppeln, denn nach glaubwürdigen Mitteilungen sei der bekannte Hajduk
Jakob Tschekrlija aus der Herzegowina nach Bosnien übergetreten und halte sich
jetzt irgendwo in der Umgebung von Wischegrad versteckt, von wo er aller
Wahrscheinlichkeit nach versuchen werde, heimlich die serbische oder die
türkische Grenze zu überschreiten. Die Streifkorpsmänner, die auf der Brücke
Wache standen, erhielten auch eine Beschreibung Tschekrlijas mit dem Hinweis,
daß es sich um einen Hajduken handle, der zwar klein und unansehnlich von
Gestalt, aber stark, kühn und ungewöhnlich gewandt sei und dem es schon mehrere
Male gelungen sei, die Patrouillen, die ihn bereits eingekesselt hatten, zu
täuschen und ihnen zu entkommen.
Auch Fedun hörte beim Rapport den
Hinweis und nahm ihn ernst wie alle amtlichen Bekanntmachungen. Eigentlich
erschien er ihm leicht übertrieben, denn er konnte sich nicht vorstellen, wie
jemand unbemerkt die ungefähr zehn Schritte Raum überqueren sollte, die die
Brücke breit ist. Ruhig und sorglos verbrachte er tags und nachts ein paar
Stunden auf der Kapija. Seine Aufmerksamkeit hatte er in der Tat verdoppelt,
aber sie war nicht vom Auftauchen dieses Jakob in Anspruch genommen, von dem
nichts zu hören noch zu sehen war, sondern von jenen zahllosen Zeichen und
Erscheinungen, mit denen sich das Frühjahr auf der Kapija ankündigt.
Es ist nicht leicht, seine
Aufmerksamkeit ausschließlich auf einen Gegenstand zu richten, wenn man
dreiundzwanzig Jahre alt ist und einem Schauer von Kraft und Leben durch den
Körper strömen und rund herum der Frühling von allen Seiten braust, flimmert
und duftet. Der Schnee schmilzt in den Schluchten, der Fluß ist schnell und
grau wie undurchsichtiges Glas, der Wind, der von Nordosten kommt, trägt den
Hauch des Schnees von den
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