Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
sagte Mr Mayfair: »Wir haben dir keinen Beschützer zugeteilt.«
»Er sagte …«, begann Lily.
»Hat er dir seinen Namen genannt?«, unterbrach sie Mr Mayfair.
»Er heißt Tye«, erwiderte Lily. »Er hat orange und schwarz gestreiftes Haar. Leuchtend braune Augen. Er sagte, er wäre mein Beschützer. Er kannte Grandpas Namen.«
»Natürlich«, sagte Mr Mayfair, halb zu sich selbst. Und dann, an Lily gewandt: »Dieser Junge ist nicht vertrauenswürdig.«
Lily blickte von Grandpa zu Mr Mayfair und wieder zurück zu Grandpa. »Aber er hat mich gerettet«, sagte sie. »Er hat das Ding von mir weggerissen. Es hat ihn gekratzt. Er ist verletzt und wartet auf Hilfe.«
»Das alles muss verstörend für dich sein«, sagte Mr Mayfair freundlich. »Du solltest wissen, dass du diesen Test jederzeit abbrechen kannst.«
Lily machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch ihr Großvater kam ihr zuvor. »Kann sie nicht«, sagte er. »Dies ist ihre Bestimmung. Dafür wurde sie geboren.«
Lily schloss den Mund wieder.
Grandpa lächelte sie an. »Schon vor Jahren habe ich deiner Mutter versprochen, dass du diese Chance bekommen würdest.« Dann verschwand das Lächeln wieder. »Ich muss nach Rose sehen. Wenn Lily angegriffen wurde … «
»Du hast sie allein gelassen?« Lily sah sich um. Sie hatte erwartet, ihre Mutter wäre irgendwo in der Nähe.
Grandpa nickte erschöpft. »Sie ist in unserem Zimmer und hat mir fest versprochen, sich nicht von der Stelle zu rühren.« Einen Augenblick lang dachte Lily: Er ist alt . Für sie hatte er niemals alt ausgesehen, doch jetzt fiel ihr auf, dass Falten sein Gesicht durchzogen, tief wie Furchen die Schale einer Walnuss. Grandpa wandte sich an Mr Mayfair: »Lily braucht einen Beschützer. Könntest du … «
Mr Mayfair drückte Grandpas Schulter. »Aber das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Ich werde sofort veranlassen, dass sich jemand um sie kümmert.«
»Danke«, sagte Grandpa sehr ernst. Dann gab er Lily einen Kuss auf die Stirn und ging davon, hinüber zu einem der gotischen Gebäude.
Lily wollte ihm nach. »Warte!« Sie sollte ihm helfen mit Mom. Aber Tye brauchte sie genauso dringend. »Tye erwartet mich zurück«, sagte sie zu Mr Mayfair. »Ich hatte eigentlich vor, Grandpa mitzubringen.«
Mr Mayfair winkte einigen Studenten zu. Einer von ihnen, ein junger Mann mit blondem Haar, löste sich aus der Gruppe und kam quer durch das Zelt auf sie zu. Unter anderen Umständen wäre Lily damit zufrieden gewesen, ihn einfach nur die ganze Zeit anzustarren. Er war schön wie ein Engel: perfektes, blondes Haar, leuchtend blaue Augen und das energische Kinn eines Superhelden. Fast rechnete sie damit, dass ein Sonnenstrahl die Wolken durchbrechen, das Zelt fluten und sich zu einer Aura um seinen Körper verdichten würde, während ein himmlischer Chor einen jubelnden Choral anstimmte. So perfekt war er. Mr Mayfair stellte ihn Lily vor: »Das ist mein Enkel, Jake. Jake, das ist Lily Carter.«
Jake schenkte ihr ein Lächeln. Es war eins von der Sorte, die Narzissen zum Erblühen bringen konnte. »Schön, dich kennenzulernen«, sagte er. Seine Stimme war warm wie die Sommersonne.
»Hi«, quiekte Lily. Schluss damit, befahl sie sich. Er war doch bloß ein hübscher Junge. Okay, ein junger Gott. Doch dieser Umstand durfte sie keinesfalls von der Tatsache ablenken, dass ein Affen-Ding sie angegriffen hatte und Tye darauf wartete, dass sie mit Verstärkung zurückkam.
»Jake, Miss Carter ist auf einen Feeder getroffen«, erklärte Mr Mayfair. »Sie wird dich dorthin führen, wo der Angriff stattgefunden hat. East Pyne.«
Feeder. Das Ding hatte also einen Namen.
»Lass den Feeder verschwinden, und bleib bis zum Ende ihres Tests bei Miss Carter. Misch dich auf keinen Fall ein oder hilf ihr, aber sorge dafür, dass sie nicht verletzt wird. Verstanden?«
»Jawohl, Sir«, sagte Jake. Das »Sir« klang nicht im Geringsten ironisch. Lily hatte das deutliche Gefühl, dass er die Hacken zusammengeschlagen und salutiert hätte, wären die beiden unter sich gewesen.
»Der Tigerjunge wird dort sein«, fuhr Mr Mayfair fort. »Ich würde ihm gern ein paar Fragen stellen.«
Jake nickte. »Ich werde ihn in Gewahrsam nehmen.«
Die Art, wie Jake diesen Satz sagte, klang beinahe unheilvoll. Als ob man Tye in einen Verhörraum bringen würde, in dem eine einzelne, nackte Glühbirne von der Decke baumelte. Lily runzelte die Stirn und öffnete den Mund, um Einspruch zu erheben.
»Mit allem
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