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Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)

Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)

Titel: Ivy - Steinerne Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Beth Durst
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nach unten. Schreiend hielt sich Lily an seinem Schuppenpanzer fest. Tyes Arme schlossen sich enger um ihre Taille. »Schau mal, dahinten!«, schrie Tye gegen den Wind an.
    Lily tat wie geheißen. Jenseits des Universitätsgeländes erstreckte sich ein dichter Wald, so weit das Auge reichte. Bäume mit mächtigen Kronen, viel größer als Mammutbäume, streckten ihre Äste in alle Richtungen. Flüsse, so blau, als wären dort Streifen von Himmel ausgelegt, durchzogen das endlose Grün. Greife tummelten sich in luftiger Höhe, tanzten mit Feuervögeln. Weit entfernt, am Horizont, erblickte sie Berge, schwarz und weiß.
    Das war nicht New Jersey.
    »Gefällt es dir?«, schrie Tye in ihr Ohr.
    Tief unten galoppierten Pferdekörper aus Schaum und Gischt die Flüsse entlang und zerschmolzen dann wieder zu Wassertropfen. Sie sah einen Mann mit Engelsflügeln von einem Baum abheben und über den Wald gleiten. Eine einsame Frau sprang über einen umgestürzten Stamm und verwandelte sich mitten in der Luft in einen Wolf. Ein Schwarm funkelnder Lichtpünktchen erhellte den Schatten zwischen den Bäumen und verschwand wieder.
    Der Drache schoss erneut nach unten. Wind peitschte Lily ins Gesicht. Der Wald flog auf sie zu. Sie schrie. Tye heulte laut auf, als säße er in einer Achterbahn.
    Ihr Reittier zog wieder nach oben und flog ganz knapp über den Baumkronen dahin. Sie konnte die Geräusche des Waldes hören – ein entferntes Wispern und Flüstern. Die Luft roch nach Kiefern und Flüssen und Erde nach einem ergiebigen Regen. Sie roch wie Tye. Lily ließ sich die warme Sonne ins Gesicht scheinen und lehnte sich nach hinten gegen seine Brust.
    Weiter und weiter flogen sie. Lily sah aufgetürmte Felsen neben einem Wasserfall. Meerjungfrauen tauchten durch die Gischt. Jenseits des Wasserfalls entdeckte sie ganze Dörfer in den Bäumen, wo Wurzeln und Zweige sich zu Häusern hoch über dem Waldboden verwoben hatten. Sie sah, wie schlanke, blasse Elfen, dünn wie Strahlen von Mondlicht, durchs Geäst glitten, während zwischen ihnen Männer und Frauen umherhuschten, die Affen und Katzen glichen. Weiter flog der Drache und umkreiste eine Stadt. Wolkenkratzer aus Perlmutt schimmerten im Sonnenlicht. Es war schöner als jedes Gemälde, das Lily jemals gesehen hatte.
    Viel zu früh flog der Drache zurück zum Campus. Sanft glitt er zu Boden und riss bei der Landung Furchen ins Grün. Schließlich kam er direkt neben dem Tor zum Stehen.
    »Und?«, fragte Tye.
    »Das war … « Lily versuchte, ein passendes Wort zu finden. Doch keines, das ihr einfiel, reichte aus, um zu beschreiben, wie es sich anfühlte, mit dem Wind zu fliegen. Und so lehnte sie sich nach vorn auf den Hals des Drachen und sagte einfach nur: »Danke.«
    »Gern geschehen, kleiner Schlüssel«, brummte der Drache freundlich von unten herauf.
    Tye glitt zuerst von seinem Rücken. Lily tat es ihm gleich und rutschte über den Schuppenpanzer nach unten. Dort angekommen, ging die Rutschpartie allerdings weiter, als plötzlich ihre Knie unter ihr nachgaben. Sie landete als wirres Bündel vor Tyes Füßen.
    »Wie anmutig«, kommentierte er.
    »Halt die Klappe«, schnappte Lily.
    »Und originell«, ergänzte Tye.
    »Würdest du dich jetzt mal benehmen wie ein Gentleman und mir aufhelfen, oder willst du bloß rumstehen und dich darüber amüsieren, wie clever du selber bist?«
    »Rumstehen, glaub ich«, frotzelte er weiter, streckte aber trotzdem die Hand aus. Lily entknotete ihre Beine und stand auf. »Besser?«, fragte Tye.
    Lily nickte. »Da sind sie wieder, meine Landbewohner-Beine.« Leider summte es in ihrem Kopf wie in einem Bienenstock. Sie bohrte sich einen Finger ins Ohr. Es half nicht.
    Hinter ihnen schwang sich der Drache wieder in die Lüfte. Sie wandte sich um und schaute ihm nach, wie er davonflog, die smaragdfarbenen Schuppen funkelnd vor dem azurblauen Himmel. Hätte sie doch nur ewig mit ihm fliegen können! Das war wirklich unbeschreiblich schön gewesen. Ja, mehr als das, unfassbar schön. Hoch oben über dem Campus gesellte sich ein zweiter Drache zu dem ersten. Die beiden wanden und drehten sich umeinander, tanzten verschlungen durch die Wolken. Ihre Schuppen glitzerten und leuchteten im Sonnenlicht.
    »Und, jetzt eine Idee zu deinem Erbe? Spürst du irgendwas?«, fragte Tye.
    »Du meinst, ob ich mir plötzlich Flügel wachsen lassen will oder mich in einen Wolf verwandeln?« Sie tat so, als untersuchte sie ihren Körper auf Anzeichen von Federn oder

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