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Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)

Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)

Titel: Ivy - Steinerne Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Beth Durst
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gerichtet und wartete nun darauf, was als Nächstes passieren würde. Sie legte ihre Hände an den Baum, der Jake und Tye gefangen hielt, und flüsterte: »Lass sie frei. Bitte.«
    Der Baum zog sich zurück. Tye und Jake stolperten vorwärts und bezogen sofort neben Lily Stellung, Tye zu ihrer Rechten und Jake zu ihrer Linken. Schulter an Schulter standen die drei den Dryaden gegenüber.
    »Wir führen nichts Böses gegen euch im Schilde«, sagte Tye laut.
    »Tut uns leid wegen, ähm … « Jake deutete auf den Waldboden, der mit zerbrochenen Zweigen übersät war.
    Ausdruckslos wie der Wald, der sie umgab, musterten die Baumleute ihre Besucher. Sie sagten kein Wort. Das Summen der einzelnen Pflanzen und Bäume verschmolz zu einem rhythmischen Trommeln, das sich langsam steigerte. »Da kommt jemand«, sagte Lily. Sie, Jake und Tye rückten enger zusammen.
    Hinter dem Halbkreis, den die Dryaden bildeten, ertönte eine Stimme. »Wer hat meine Bäume verändert?«
    Die Dryaden öffneten ihren Halbkreis, um den Besitzer der Stimme durchzulassen. Eine Frau kam zwischen den Bäumen hervor. Lily traute ihren Augen nicht. »Mom?«
    Doch es war nicht ihre Mutter.
    Vielmehr sah die Gestalt aus wie eine ältere Version von Rose: die gleichen geschwungenen Augenbrauen, die gleichen himmelblauen Augen, der gleiche gertenschlanke Körper. Sogar ihr Haar war von der gleichen blassgrünen Farbe, die Rose so gerne trug (zumindest bis zu ihrem jüngsten Sprühfarben-Experiment). Doch auf den Wangen dieser Frau bildeten Fältchen konzentrische Kreise, wie Jahresringe in einem Baumstamm.
    Lily schluckte. Ihre Kehle fühlte sich so trocken an, als wäre sie mit Rinde ausgekleidet. »Großmutter?«
    Die Frau glitt näher. Ihre nackten Füße verursachten auf dem Waldboden nicht das kleinste Geräusch. Ganz dicht vor Lily blieb sie stehen. »Wie überaus unerwartet«, murmelte sie, hob eine Hand und berührte sanft Lilys Wange. Ihre Finger waren kühl wie Laub. »Du hast sein Haar und seine Augen, aber die Lippen und die Wangen sind, glaube ich, von mir.« Ihre Stimme klang unbeteiligt, als hätte sie sich eben zu etwas so Alltäglichem wie der Farbe des Himmels geäußert.
    Lily starrte in die Augen ihrer Großmutter und versuchte, etwas von ihrer Mom darin zu entdecken. Doch in den Augen der Frau, die ihren Blick erwiderte, lag nichts von der vertrauten Mischung aus albern und lieb. Diese Frau – diese Dryade – sah aus, als hätte sie noch nie in ihrem Leben gelacht. »Bist du … « Lilys Stimme brach.
    Neben ihr sagte Tye leise: »Sie ist die Königin der Dryaden.«
    »Königin?«, fragte Jake erstaunt. »Lily, du bist von Adel?«
    Doch Lily konnte nichts anderes tun, als die Königin der Baumgeister unverwandt weiter anzustarren, während sie versuchte, die Erkenntnis zu verarbeiten, dass sie Verwandtschaft gefunden hatte. Noch dazu adlige. Bis jetzt hatte es immer nur sie, Mom und Grandpa gegeben. Und nun stand hier plötzlich eine Großmutter. Zwar keine, die Lily mit einer Umarmung begrüßte oder mit Keksen, aber dennoch eine aus Fleisch und Blut. Oder Rinde. Oder was auch immer.
    »Interessant«, sagte die Königin. »Warum bist du hier?«
    »Meine Mutter … « Lily befeuchtete ihre Lippen und versuchte es noch einmal. »Ich glaube, du kannst ihr helfen. Sie braucht deine Hilfe.« Ob sie wohl auch Tanten hatte? Onkel? Cousinen?
    Die Dryaden begannen, untereinander zu flüstern. Es klang wie wässriger Wind. Die Bäume wiegten sich hin und her. Zweige klatschten in der Luft zusammen.
    »Meine Tochter ist schon vor vielen Jahren gestorben«, sagte die Königin. Ihre Stimme klang hart und rau.
    Die zwölf anderen Dryaden rückten näher zusammen. Blätter wuchsen aus ihren Händen, Ranken schlängelten sich aus ihren Fingerspitzen, ihre Arme verhärteten sich zu Holz.
    Tye riet Lily mit gesenkter Stimme: »Mach die Blätterdinger bloß nicht wütend. Wir sitzen hier nämlich in der Falle.« Er und Jake flankierten Lily weiterhin wie Bodyguards. Die Dryaden hatten sich inzwischen zu einem Kreis auseinandergezogen und die drei Fremdlinge vollständig eingeschlossen.
    »Ich habe ihr geraten, sich nicht mit Menschen einzulassen«, fuhr die Königin fort. »Bleibe bei deinem Baum. Wurzle in unserer Erde. Singe mit unserem Wind. Aber er hat ihr mit seinen süßen Komplimenten den Kopf verdreht. Er hat sie von zu Hause weggelockt und in den Tod geführt.« Über ihnen verknoteten sich die Blätter zu einem dichten Dach und sperrten die

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