Ja, Liebling
erwischt es schon nicht. Ich bin seit Tagen von Rotznasen umgeben und spüre rein gar nichts. Aber Sie sehen nicht gut aus. Versuchen Sie einmal, das da zu trinken.«
Sie wollte gar nicht, aber er machte ein so besorgtes Gesicht, daß sie doch eine halbe Tasse hinunterwürgte. Dann sagte er: »Sie sollten nicht allein hier sein. Wahrscheinlich geht es nicht gut, wenn ich hierher ziehe, nicht?«
»Warum denn nicht?« Sie machte ein erstauntes Gesicht, aber dann nahm sie sich zusammen und lächelte ein wenig. »Wahrscheinlich nicht, obgleich man nicht vergessen darf, daß ich schließlich eine würdige Großtante bin.«
Er lachte und fuhr fort: »Annette hat die Grippe schon überwunden. Ihr könnte die Abwechslung ganz gut tun, und sie liebt dieses Haus. Ich werde sie holen. Übers Wochenende können wir uns dann ein wenig um Sie kümmern. Wir werden Sie auch nicht stören. Was halten Sie davon?«
Sie wäre viel lieber allein geblieben, aber sie brachte es einfach nicht fertig, ihm einen Korb zu geben. So murmelte sie nur etwas von großer Mühe und stimmte zu. Während er zum Dorf zurückfuhr, um Annette zu holen, schlief sie schon wieder ein.
Als er mit dem Mädchen kam, sagte Margaret: »Ach du liebe Zeit, jetzt ist überhaupt kein Zimmer hergerichtet. Ich wollte eigentlich mit dem Gästezimmer beginnen... Vielleicht nehmen Sie einfach Cecilys Zimmer unten, dann kann David das kleine Zimmer hier oben bekommen. Ich fürchte, Bettwäsche müssen Sie sich selbst suchen.«
Sie richteten sich fast geräuschlos ein und kümmerten sich rührend um Margaret. Annette mußte am Samstag noch einmal in die Fabrik. Den Sonntag verbrachten sie aber dann geruhsam zu Hause. Margaret hatte zwar kein Fieber mehr, aber sie war noch sehr matt. Deshalb hatte sie auch keine Lust, sich um die angesammelte Post zu kümmern. Nur eine Karte von Cecily las sie: >Uns geht’s großartig, und ich hab die Prüfungen schon vergessen. Paß gut auf dich auf. Alles Liebe, Deine Cecily.<
Die beiden jungen Leute blieben auch im Haus, als die Arbeit der Woche wieder begann. Am Morgen fuhren sie gemeinsam fort, nachdem sie ihr ein Mittagessen auf einem Tablett hergerichtet hatten, und abends kamen sie wieder zurück. Ein- oder zweimal mußte Annette nochmals ins Büro, und an einem solchen Abend raffte Margaret sich endlich dazu auf, die vielen Briefumschläge zu öffnen. Seufzend sah sie in einem großen Umschlag ihres Steuerberaters ein amtliches Formular mit der erschreckenden Überschrift >Finanzamt<. Plötzlich mußte sie wieder lebhaft an Hervey denken. Er hatte sich über diese Schreiben auch immer furchtbar geärgert, war aber doch mit gewohnter Überlegenheit damit fertiggeworden. Margaret hatte nie verstanden, um was es überhaupt ging.
Offensichtlich hatte sie bei ihrer Steuererklärung irgendeinen Fehler gemacht. Ihr Steuerberater schrieb: >Die Unklarheit läßt sich durch einen Blick auf Ihre Unterlagen sicher sofort klären.< Margaret lachte nur, sie hatte keine Unterlagen. Sie schrieb ihre wichtigsten Einnahmen und Ausgaben ganz einfach in eines der Schreibhefte, aber allein der Gedanke, an diesem Abend noch in dem Heft blättern zu müssen, erschien ihr erschreckend.
Als David später ihr Essen brachte, zeigte sie ihm den Brief. Sie war hocherfreut, als er sagte: »Die Sache ist ganz einfach, ich werde das für dich erledigen.«
In den Tagen von Margarets Krankheit, wo die beiden sozusagen zur Familie gehörten, waren sie übereingekommen, auf das förmliche >Sie< zu verzichten.
Für Margaret war es eine ungeheure Erleichterung, beinahe, wie wenn Hervey zurückgekommen wäre und die unangenehmen Dinge des Lebens von ihr ferngehalten hätte. David war insofern netter, als er sie wegen ihrer unordentlichen Buchführung nicht tadelte und sicher nicht auf den Gedanken kam, wie Hervey zu sagen: >Mein liebes Kind, dein absoluter Mangel an geschäftlichem Instinkt ist schon nicht mehr normal.<
»Wo liegt das Buch denn?« fragte er. »Hier im Schreibtisch, nehme ich an.«
Sie nickte und war zu müde, daran zu denken, daß auch die anderen Hefte in der Schublade lagen. Die Leute in der Vorstadtstraße Nummer zehn bis sechzehn hatte sie beinahe schon vergessen.
Nach einer Weile kam er wieder und hatte zwei Hefte in der Hand. »Tut mir leid, aber ich kann das richtige nicht finden. Die beiden hier sind vollgeschrieben. Sei nicht böse, ich habe einmal hineingeschaut.«
Margaret fuhr erschrocken hoch. Sie hatte natürlich vergessen,
Weitere Kostenlose Bücher