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Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Titel: Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Plötzlich blendet hinter uns ein tiefer gelegter schwarzer Golf mit Rallye-Streifen und Schwarzlicht-Bodenleuchte auf. Als ich rechts ranfahren will, um zu schauen, ob ich vielleicht einen Platten habe, setzt der Typ seinen Wagen neben uns, winkt grinsend vom Fahrersitz und braust mit röhrendem Motor vorbei.
    «Und den kennst du vermutlich auch.»
    «Mhm.»
    «Fährt einen heißen Reifen.»
    «Ich weiß.»
    Neben dem Ortseingang von Tiefenwalde hängt ein weißes Bettlaken, auf das jemand in roter Jungenschrift geschrieben hat «Carsten wird bald dreißig, drum muss er fegen fleißig».
    Roni runzelt die Stirn, fragt aber nicht – wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Denn natürlich kenne ich Carsten. Leider.
    Am Nachmittag kommen wir bei meiner Oma an. Mit meinen Eltern sind wir später zum Abendessen verabredet. Ihre Beratungsstelle hat heute geöffnet, schließlich ist es vor allem am Wochenende wichtig, der feierwütigen Dorfjugend die triste Realität schönzureden.
    Als meine Oma die niedrige Tür des alten Fachwerkhauses öffnet, muss ich mich zu ihr hinunterbeugen. Sie ist schon 90 und nur noch 1,50 Meter groß: Mit zarter, aber fester Hand lenkt sie unsere Großfamilie, begegnet unseren Spleens mit Liebe, Verständnis und eigenen Macken. Ich merke, dass sie mir gefehlt hat, und breite die Arme aus.
    «Schau, wer da ist!», ruft sie und schlägt die Hände vor der Brust zusammen. «Der Butzi!»
    Oje. Das hatte ich völlig vergessen.
    Ich schaue zu Roni hinüber. Die zieht überrascht die Augenbrauen hoch und grinst. Nachdem ich meine Oma ausgiebig gedrückt habe, stelle ich die beiden einander vor.
    «Endlich wieder eine Frau in der Familie», freut sich Oma und bittet uns herein. «Was bist du groß geworden», fügt sie noch an, als ich an ihr vorbei in die Stube gehe.
    «Das liegt bloß an den hohen Absätzen», scherze ich. Meine Oma wirkt kurz irritiert, lächelt dann aber und nickt eifrig.
    Der Kaffeetisch ist an beiden Enden zur vollen Länge ausgezogen: Ich zähle dreißig Gedecke.
    «Kommt noch jemand?»
    Oma blinzelt verschwörerisch. Im selben Moment fliegt die Küchentür auf. «Überraschung!» Junge und alte Stimmen klingen durcheinander. Aus allen Ecken strömen Menschen. Roni und ich werden der Reihe nach in den Arm genommen und gedrückt.
    «Ach, wie lange ist das her!»
    «Lass dich anschauen!»
    «Du kriegst ja hinten schon ’ne Glatze!»
    «Die hat ja gar kein Dirndl an.»
    Die komplette erste Riege meiner Verwandtschaft ist angetreten. Cousins, Cousinen, Onkels, Tanten, Schwager und Schwägerinnen. Da ist ja auch Vetter Mike, mit dem ich groß geworden bin.
    «Na, Cousin?», sagt Mike. «Haste dich verfahren, oder warum kommst du erst jetzt?»
    Neffe Benni, der vor fünf Jahren noch ein Baby war, kann mittlerweile nicht nur laufen, sondern auch mit seinem Handy ins Internet gehen. Onkel Fritz, der älteste der sieben Geschwister meiner Mutter, hat gar keine Haare mehr auf dem Kopf, dafür einen Vollbart; Tante Martha trägt ihre Pudelfrisur jetzt schlohweiß. Und da sind auch noch ein paar neue Babys und Kleinkinder, die ich nicht zuordnen kann.
    Es dauert ein paar Minuten, bis sich Eindrücke und Verwandte gesetzt haben.
    Ich darf neben meiner Oma am Kopfende der Tafel Platz nehmen. Von dort lasse ich meinen Blick über die Sippschaft schweifen und versuche insgeheim, eine Vorauswahl für unsere Gästeliste zu treffen.
    «Jetzt iss dir erst mal was und entspann dich», befiehlt Oma. «Du bist ja nur noch Haut und Knochen.»
    Wahrscheinlich nicht mehr lange. Auf dem Tisch stehen neben Apfel-und Zuckerkuchen auch Weißmehlbrötchen mit Mett und Zwiebelringen, Frikadellen mit Senf sowie knuspriges Graubrot, belegt mit Stracke, einer langen harten Mettwurst. Dazu gibt es Kaffee aus der Maschine: Stark wie Hermann der Cherusker und grau wie der Großteil der hiesigen Bevölkerung.
    «Wenn du dir lieber eine Stulle mit Käse essen magst, kann ich dir eine schmieren», sagt meine Oma zu Roni.
    «Das ist nett, aber ich nehme gern so eine Fleischpflanzerl-Semmel.»
    Einige Sekunden vergehen in ratlosem Schweigen. Meine Oma sieht Roni an, als habe diese ihr eben eröffnet, sie würde lieber eines der kleinen Kinder fressen. Dann zieht Erleuchtung über ihr Gesicht, und sie reicht ihr ein Mettbrötchen.
    «Hier, eine Sähmel mit Fleischfransen. Bei uns nennt man das», sie spricht so laut, als wäre Roni schwerhörig: «Mett-bröt-chen.»
    «Oder Brötchen mit Feuerwehrmarmelade», ergänzt

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