Jack Fleming 02 - Blutjagd
Angehörigen der Chicagoer Unterwelt vollkommen umgekrempelt worden war. Der Gedanke, dass vielleicht einige rachsüchtige Überlebende des damaligen Rabatzes hinter mir her waren, war nicht gerade tröstlich. Man hatte mich bereits einmal umgebracht, und dieses eine Mal reichte mir.
Ich dachte kurz daran, wieder umzukehren, entschied mich aber dagegen. Ich hatte mehr als die Hälfte der Strecke bereits geschafft, und wenn es hart auf hart kam, konnte ich mit zwei Lachnummern der Landstraße allemal fertig werden. Ich hatte in meiner Heimatstadt etwas zu erledigen, das ich hinter mich bringen wollte. Wenn auf der Reise Ärger meinen Weg kreuzte, konnte ich deswegen immer noch Escott die Ohren lang ziehen. Der Ausflug war eigentlich seine Idee gewesen.
Am zweiten Abend nach unserem Geplänkel mit Selma Jenks war ich aufgewacht und hatte ihn wieder in meinem alten Sessel sitzen sehen. Ich hatte nichts gegen seine Überraschungsbesuche, weil er dafür stets einen guten Grund hatte.
»Einen schönen Abend«, sagte er. »Zumindest hoffe ich, dass du ihn auch dafür hältst. Es ist etwas kühler geworden.«
Temperaturschwankungen waren mir recht gleichgültig, ich bemerkte sie kaum und konnte aus Escotts Kleidung auch keine Rückschlüsse auf das Wetter ziehen. Wir hatten Mitte September. Zwar trug er einen leichten Anzug, aber sämtliche Westenköpfe waren geschlossen. Um seinen Hals schmiegte sich ein gestärkter abnehmbarer Kragen, der ihm etwas Steifes und Förmliches verlieh. Er wirkte wie ein Bankier oder ein Lehrer der alten Schule. Damit wollte er seinen Klienten Vertrauen einflößen.
»Und wie läuft's so?«, sagte ich zur Begrüßung und kletterte aus meinem Koffer.
»Ich kann mich nicht beschweren, allerdings hatte ich einiges zu tun.«
»Neue Kundschaft?«
»Alte Geschäfte. Dank Mister Swaffords Zuwendung habe ich mir einige Renovierungen leisten können und kläre gerade einige Details.«
»Welche Details?«
»Beispielsweise deinen eigenen Fall betreffend. Ich habe die Namen auf deiner berüchtigten Liste dingfest gemacht ...«
»Ich dachte, du verbrennst das Ding.«
»Das werde ich auch, aber zuvor verschaffe ich einigen meiner Pilgerbrüder durch dieses irdische Jammertal ein wenig Seelenfrieden.«
»Ach ja?« Damit forderte ich ihn zu näheren Erklärungen auf, während ich mir die Zähne putzte und mit Mundwasser gurgelte. Meine Diät, die ausschließlich aus Blut bestand, bescherte mir gelegentlich etwas Mundgeruch. Dank der modernen Hygieneerzeugnisse konnte ich mich immer noch unter Menschen wagen, durfte aber keinen Badezimmergang auslassen.
Die besagte Liste hatte mehrere Menschenleben gekostet, darunter auch mein eigenes. Mein Leben als atmender Mensch und alle damit einhergehenden Verheißungen waren für immer vorbei, und ich wollte diese Katastrophenzettel nie wieder sehen. Zwar hätte ich mich auch weigern können, sie in irgendeiner Weise zur Kenntnis zu nehmen, aber zwei Wochen können eine lange Zeit sein. Wie Bobbi bereits festgestellt hatte, es war schon komisch, wie leicht man sich an etwas gewöhnen konnte.
Escott hatte schon lange die Verschlüsselung geknackt und über zweihundert Namen von Bürgern erhalten, die irgendwelche Leichen im Keller hatten. Ein schlauer Erpresser konnte damit ein Vermögen machen oder sich große Macht aneignen, denn bei den Trägern jener Namen handelte es sich ohne Ausnahme um hochrangige Politiker, Richter, Anwälte und Cops, sowie den einen oder anderen Geschäftsmann. Auf der Liste standen außer den Namen auch die Verwahrungsorte der Erpressungsmittel, bei denen es sich entweder um belastende Schriftstücke oder um peinliche Bilder handelte. Ein Großteil davon war in Schließfächern auf diversen Bus- und Eisenbahnhöfen im Stadtgebiet verteilt. Heute hatte Escott einiges davon eingesammelt, und seine voll gepackte Aktentasche enthielt so viel Skandalmaterial, dass die Klatschblätter monatelang davon leben konnten.
»Ich habe erst die Hälfte hinter mir. Die persönliche Übergabe nimmt die meiste Zeit in Anspruch«, sagte er. »Bei einigen dieser Burschen ist es manchmal recht schwierig, einen Treffpunkt auszumachen.«
»Du hast alles persönlich zurückgegeben?«
»Es ist keine große Mühe. Es wäre sicher leichter, es mit der Post zu verschicken, aber dadurch stiege auch die Gefahr, dass ein Brief oder Päckchen durch Dritte geöffnet wird. Das Leben der Opfer wäre dann durch die Bloßstellung ruiniert, oder sie würden immer
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