Jack Fleming 02 - Blutjagd
entsetzlichen Lärm. Leute riefen, Kinder spielten – wenn es an jenem Tag etwas weniger laut gewesen wäre, so wäre sie vielleicht noch an meiner Seite. Wer weiß?
Wir überquerten gerade die Straße. Es war kurz vor Weihnachten, um uns waren viele Menschen, die ebenfalls Geschenke einkauften. Ich weiß noch, dass an einer Ecke eine Band spielte, um Geld für die Armen zu sammeln. Es war kalt, und wir fragten uns, wie die Musiker sich warm hielten, da sie nicht auf und ab gehen konnten. Wir lachten und liefen im Gleichschritt zur Trommel. Ein feines Bild müssen wir geboten haben; zwei alte Jungfern um die Vierzig, die sich so albern aufführen. Wir hörten nur die Musik, sonst nichts. Dann wandte Maureen den Kopf, sah über die Straße und stieß mich plötzlich von sich. Sie stieß mich sehr kräftig, ich glitt auf dem schmutzigen Eis aus und flog fast von ihr fort. Ein Rumpeln ertönte, eine Glocke klingelte, und ich stolperte gegen eine Menschentraube auf dem Bürgersteig. Ich war benommen und konnte mich nicht bewegen; man sagte mir, dass ich mich beim Sturz am Kopf verletzt hatte. Einige Männer trugen mich in einen Laden, ich verlor das Bewusstsein und wurde dann in ein Hospital gebracht.
Sie hatte es kommen sehen, aber sie hatte nicht mehr genug Zeit für etwas anderes, als mich aus dem Weg zu stoßen. Man sagte, dass sie kaum etwas gespürt haben konnte, dass es sehr schnell ging. Ich möchte gerne glauben, dass sie keine Schmerzen hatte. Es war ein Löschwagen, und die Pferde rannten in vollem Galopp.
Ich erwachte auf der Krankenstation. Ich glaubte, ich müsse sterben, als man mir sagte, dass sie ums Leben gekommen war. In jener Nacht kam Jonathan vorbei und versuchte mich zu trösten, aber ich war so sehr in meinem Kummer verloren, dass ich den seinen oder auch dessen Abwesenheit nicht bemerkte. Am Tag nach meiner Entlassung aus dem Spital fand die Beisetzung statt, aber er kam nicht, und ich war sehr böse auf ihn. Er hatte sie seit elf Jahren gekannt und kam nicht einmal zu ihrer Beerdigung. Ich war allein, völlig zerschmettert und allein.
Nach ein paar Tagen kam er wieder. Unser Gespräch war sehr schwierig, und er stellte mir einige seltsame Fragen. Er sprach über das Leben nach dem Tod, ob ich so etwas als real ansah. Er wollte wissen, ob ich Maureen wieder sehen wollte. Dann sah er mich an – er sah mich einfach nur an – und da kam es mir nicht mehr so absurd oder schrecklich vor. Er sagte mir, ich solle glücklich sein, weil es Maureen gut ginge. Ich schüttelte den Kopf und lächelte; es war wie ein Traum, aber er sagte, er könnte es beweisen. Er öffnete die Tür, und Maureen kam herein.
Sie trug ein neues Kleid ... es war so blau wie ihre Augen, und sie war jung, war wieder ein Mädchen und so hübsch ...« Gaylen ließ den Kopf hängen. Sie wirkte sehr müde. Aus ihrem Ärmel zog sie etwas aus Musselin und Spitze und tupfte sich über die Augen. »Es tut mir Leid, dass ich mich so aufführe, auf einmal kommt alles wieder zurück.«
»Darf ich Ihnen etwas bringen? Etwas Wasser?«
»Nein. Es geht mir gut, ich möchte es zu Ende erzählen. Wir unterhielten uns fast die ganze Nacht, und ich erfuhr vieles über Dinge, die ich zuvor für unmöglich gehalten hatte. Aber da saßen sie direkt vor mir – Maureen war von Jonathan verwandelt worden und daher aus dem Grab zurückgekehrt.
Sie wollten fortgehen. Sie sagte, dass sie nicht mehr bei mir bleiben könne. Unsere Freunde hätten es wohl kaum verstanden, und natürlich wollte sie auch nicht, dass sie davon erfuhren. Sie hatte mich noch einmal sehen wollen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich um sie trauerte. Es war so schwer, fast grausam, dass ich sie wieder hatte, nur um sie wieder zu verlieren. Sie schrieb mir oft, von vielen Orten, und sie erwähnte, dass sie Sie traf, und wie glücklich sie doch war. Ich dachte, dass Sie vielleicht mehr als ich darüber wüssten, wohin sie ging. Ich hatte es so sehr gehofft ...«
»Es tut mir Leid.« Die Worte waren unzureichend, aber sie waren alles, was ich ihr geben konnte.
Sie nahm wieder meine Hand. »Es ist schon gut, daran können wir nichts ändern. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, können wir vielleicht – um ihretwillen – Freunde sein.«
»Natürlich.«
»Was geschah mit Barrett?«, fragte Escott.
Sie sah ihn an, und ihr Gesicht erstarrte einen Augenblick lang. Während ihrer Erzählung hatte er sich sehr ruhig verhalten, und sie hatte seine Gegenwart wohl
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