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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Mittel verschreiben: einen Fall, Kopf voran, von drei Metern auf ein hölzernes Deck. Wenn dann
    noch ein riesiger Walliser auf einen zu liegen kommt, ist es natürlich noch sicherer, aber wenn keiner zur Hand ist, schläft man von der eigenen Tätigkeit
    schon recht tief.
    Gewiß, Ihr Hirn wird von diesem Deckmittel ein
    wenig erschüttert sein und ein paar irre Träume in
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    Ihren Schlummer loslassen … denn es ist nicht nur
    Schwärze … Gesichter kommen und gehen, und weit
    entfernte Stimmen sagen Ihnen: »Liege ruhig … brei-
    te die Segel … du kommst in gut Wetter, Junge … der Sturm ist jetzt hinter dir …« Aber wer redet, werden Sie nie wissen, und auch nicht besonders wissen wollen; alles wird klingen wie müßiger Unsinn, mit dem sich ein schlummerndes Hirn nicht abzugeben
    braucht.
    Wer einen pflegt, wer einem kalte Tücher auf den
    heißen Kopf legt, wessen kundige sanfte Hände einen wieder in die Koje zurückschieben, wenn das rollende Meer einen rausgeworfen hätte, wird man auch nie
    wissen. Vielleicht war es Mr. Morris, vielleicht der Mann im Mond.
    So kommt zu all den anderen Wohltaten dieser Art
    von Schlaf noch dazu, daß man für die Rettung des
    eigenen Lebens nicht auch noch dankbar sein muß.
    Das einzige, was man dagegen einwenden kann, ist,
    daß vierundzwanzig Stunden oder mehr aus dem Le-
    ben genommen sind wie eine ausgerissene Seite, und
    etwas in ihnen hat einem einen Schmerz hinterlassen, als würde eine Deckplanke einem im Schädel herum-geschlagen.
    So schlief ich also. Ich schlief, und die Welt ging ohne mich weiter – und keiner von uns kümmerte
    sich darum, was aus dem anderen wurde. Als ich er-
    wachte, waren ich und die Charming Molly ein
    ungeheures Stück aus unserem Kurs geblasen, und ich wußte nicht, wo ich war, bis mir Mister Pobjoy etwas 65
    Brühe brachte, die halb aus Seewasser bestand, und
    mir sagte, ich sei in Mister Morris’ Kajüte. Sein Gesicht hatte bläuliche Flecken von dem peitschenden
    Wind und Wasser, und sein armer Bart war von allen
    Lebewesen rein gewaschen.
    Ein sehr nasser und triefender Mister Pobjoy, der
    kam und sich in einer stinkenden Meerwasserpfütze
    hinplatschte. Ein sehr einsamer Mister Pobjoy, der
    jetzt keinen Gefährten in seiner Kombüse hatte, und ein sehr neugieriger, nervöser Mister Pobjoy, dessen kleine Augen in der Kajüte umherirrten, als würden
    sie von panischen Gedanken (nicht seinen eigenen)
    gejagt.
    »Er kennt ihn, Jack!«
    Er brachte sein Gesicht so dicht an meines, daß
    zwischen uns kein Platz für einen Gedanken war.
    »Er kennt ihn, Jack!«
    »Wer?« hauchte ich mit dem Versuch, ihn wegzu-
    blasen.
    Er lehnte sich zurück, rieb die Seite seiner Nase
    und zupfte sich am Ohr. »Was hast du gehört, Jack?«
    »Nichts als den Wind.«
    »Was weißt du, Jack?«
    »Nichts als was mir Mister Pobjoy erzählen will.«
    Er seufzte. »Danke, mein lieber Junge, Pobjoys
    Wille ist ein Zwang. Er muß dir erzählen, oder er platzt, und dann bleibt nichts übrig als ein seltsames Garn, das im Wind wirbelt und nachts die Wanten
    heimsucht.«
    Sein Garn begann mit einem Brüllen und einem
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    Krachen: das Brüllen war Mister Taplow, das Kra-
    chen mein Kopf auf dem Deck.
    Er kam aus der Kombüse gestürzt mit dem Gedan-
    ken »der Kahn ist gekentert«, dann sah er mich
    »lasch wie ein Lumpen hinten auf dem Deck rollen«.
    Mein Kopf war mit Blut gefärbt, das – wie sich später herausstellte –, von Mister Taplows Ferse stammte,
    die ich »sehr giftig gebissen hatte und der davon hät-te sterben können«. Aber zuerst glaubte er, es sei
    mein Blut und ich sei tot.
    Ja, er hatte zu Suckling gesagt: »Mister Suckling,
    lassen Sie diese traurige Molly ihn jetzt begraben, anständig und schnell. Denn er ist tot wie Hammel-fleisch.« Inzwischen war Mister Morris in flammen-
    der Wut aus seiner Betäubung aufgewacht und trat,
    während ihm das Blut (sein eigenes) übers Gesicht
    strömte, den armen Mister Taplow sehr zornig, als
    wollte er ihm auf Kosten eines Stiefels die Rippen
    eindrücken. Aber Mister Taplow, friedlich wie ein
    Engel, fühlte nichts davon. »Worin eine Moral liegt, lieber Junge: verschwende niemals dein Gift an einen bewußtlosen Mann, denn es ist vergebliche Arbeit.«
    Jetzt kam der Teil, der unheimlich war, der Teil,
    der Mister Pobjoy verfolgte, ihm den Frieden und den Schlaf raubte und ihm sogar den Gin versauerte …
    »Niemand sah die Tür des Kapitäns sich öffnen,
    aber eine Minute war da nichts,

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