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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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und in der nächsten stand er auf dem Achterdeck, als sei er aus der Luft gekommen. Sehr weiß im Gesicht war er, ganz ausge-trocknet, auf den Stock gestützt, mit den Augen in
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    das Licht blinzelnd, dem sie fremd geworden waren:
    ein Gespenst des Mannes, der er gewesen war.
    Er stand und starrte, und Mister Morris hört auf,
    Mister

    Taplow zu treten, und der Holländer hält deine arme Person hoch, als wolle er sich entschuldigen, daß du so klein bist …«
    Hier zwinkerte Mister Pobjoy mehrere Male, als
    sei er jetzt zum kritischen Punkt gekommen: »Er
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    wollte gerade Mister Morris etwas sagen, als er still stand wie ein Stein, während der große Wind alles
    peitschte, was an ihm beweglich war. Er sah Mister
    Solomon Trumpet an. Und Mister Solomon Trumpet
    sah ihn an. Auf die Stelle gebannt, öffnete und schloß den Mund, als sei alle Luft der Welt nicht genug, ihm den Atem wiederzugeben. Weiß wie ein gebleichter
    Knochen. Und der Kapitän? Rot wie Feuer! Kein
    Wort gesprochen – außer mit ihren Augen. Und kei-
    ner wußte, was sie sprachen. Aber sie sprachen Bän-de, wenn nur einer sie hätte lesen können!
    Dann senkte der Kapitän den Blick und hinkte
    schnell dorthin zurück, wo er hergekommen war.
    Aber Mister Trumpet rührte sich nicht, atmete viel-
    leicht nicht, etwa eine Viertelstunde lang. Nichts
    konnte ihn davon abbringen, auf die Stelle zu stieren, wo der Kapitän gestanden hatte: Weder daß man
    dich selbst fast unter seiner Nase davontrug, noch
    den armen Taplow von drei lieben Freunden da-
    vonschleppen ließ, um ihn unten im Laderaum an
    den Hauptmast zu ketten. Er starrte und starrte, als ob der Kapitän die leere Luft bevölkere – und war ein so unvermittelter und schauriger Anblick, wie ihn
    jemals Menschenaugen erlebt haben.«
    Seine Stimme erstarb, und auch er kauerte sich nie-
    der und starrte in die leere Luft, als sei die Szene noch vor seinen Augen. »Grauslich …«, nuschelte er, aber es war mehr eine Frage als eine Erinnerung. Dann, als das Geräusch von Wind und Meer die Kajüte füllte,
    murmelte er wieder: »Wie ein wildes Tier …« Aber ich 69
    glaube, er muß ein anderes Geräusch gemeint haben,
    das anschwoll, um den Sturm zu übertönen, ein Ge-
    räusch wie ein Hauptsegel, das langsam durchrissen
    wurde: ein heiseres, würgendes, heulendes Geräusch.
    »Taplow«, sagte er, »armer, irrer Taplow, der ge-
    gen die Ketten im Laderaum ankämpft. Still, und du
    hörst sie klirren …!«
    Also hörte ich, und meine Brühe wurde eiskalt.
    Als er wieder zur Kombüse zurückschwankte, ließ
    er mich völlig verstört zurück.
    »Er kennt ihn, Jack!« Aber in welcher Weise? Es
    muß eine außergewöhnliche Bekanntschaft gewesen
    sein, die sie deshalb so erschütterte. Keine Worte: nichts als Erstaunen. Wie waren sie sich früher begegnet? Was lag zwischen ihnen? »Ein so unvermit-
    telter und schauriger Anblick, wie ihn jemals Men-
    schenaugen erlebt haben.«

    »Ein Schuft! Ein Scheusal!« Ein anderer Besucher, der gekommen war, mich aufzuheitern. »Das Schlimmste
    in der ganzen Welt. Hüte dich, alter Freund. Hüte dich vor ihm!«
    Mister Trumpet. Kam hereingeschlichen, als ich
    grübelte, und seine biegsame Stimme brach in meine
    Gedanken ein.
    »Mache dich frei und wechsle die Seite, bevor es zu spät ist.«
    Er beugte sich nahe zu mir nieder und drängte und
    drängte, bis mein Kopf stärker schmerzte als vorher, weil ich mich erinnern wollte, welche Stimme ich
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    hörte – seine jetzige oder die, die Mister Taplow im Laderaum gelockt hatte. Ich fragte mich, warum er
    nicht in Ketten lag: dann fiel mir ein, daß ich der einzige war, der ihn belauscht hatte. Also hatte ich
    Macht über ihn. Ich versuchte, seinen Blick zu erhaschen, aber der seine war zu hurtig und schlüpfrig
    und voller Furcht und Leidenschaft …
    Ich wollte ihm sagen, er solle lieber auf der Hut
    sein, denn er sei in meiner Macht, und ich würde
    nicht zögern, ihn zu verraten, als er nach draußen
    guckte und plötzlich erstarrte. Er wandte sich mit
    förmlich flammenden Augen wieder mir zu. Seine
    Lippen schienen sich zu bewegen, aber vergebens,
    denn er wurde beiseite geschoben.
    Endlich war es der Kapitän. Gott, wie blaß er war!
    Seine ländliche Hautfarbe war ganz verschwunden.
    Wie wenig Blut mußte noch in ihm geblieben sein.
    »Wach? Wach, Junge?« Aber seine Stimme war so
    wohltuend wie zuvor. »Deine Augen glänzen wie
    Sterne!«
    Schwer auf den Stock gestützt tappte er

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