Jack Holborn unter den Freibeutern
Morris. Stoße ihm einen Marlspieker für mich in den Rücken, wie? Recht so, Morris.«
Als er zur Bestattung an Deck kam, war er kalt
und ernst und entrückt, und ich fühlte, daß Mord
74
oder Erlösung ihm nicht mehr bedeuteten, als das
Zwinkern eines geistigen Auges.
Eine der Backbordkanonen war weggerückt wor-
den, und Mister Taplows Leiche lag auf einem durch
das Schießloch geschobenen Brett, um in das dunkle
Meer versandt zu werden. Mr. Pobjoy hatte ihn mit
ein paar gewichtigen Töpfen beschwert, die in der
Kombüse nicht gebraucht wurden, auf daß er auf
dem Meeresgrund in Frieden ruhen könnte.
Alle Mann waren auf Deck, denn es war eine au-
ßergewöhnliche Gelegenheit, diese feierliche Zurruhe-legung. (Viel wurde später davon hergemacht und
viele Dinge vorgebracht.)
Sich vorsichtig vorwärtstastend, Mister Morris an
seiner Seite, kam der Kapitän zu der Leiche. Er stellte den Stock vor sich und legte beide Hände darauf;
dann mit gespitztem Mund und blinzelnden Augen
sprach er von Mister Taplows Chancen für den
Himmel. Sie waren nicht sehr groß. »Gleichviel«,
sagte er, »die schwärzeste Seele kann dorthin empor-steigen und, wenn sie vor dem Tode bereute, einge-
lassen werden. Auch so eine wie diese.«
Er sah hinauf und dann hinunter, als wolle er die
Entfernung messen. Ich glaubte, er lächelte, aber Mister Pobjoy schwor, daß sein Ausdruck während der
ganzen Sache starr der gleiche blieb.
»Und so überantworte ich dich der Tiefe«, sagte
er, »und möge Gott deiner Seele –«
Bevor er aussprechen konnte, machte das Deck ei-
nen plötzlichen Satz, als ob die Charming Molly
75
die Schultern gezuckt hätte, und Mr. Taplows Leiche rutschte von der Planke und in ein Wellental. Ich sah ihn fallen, denn der Sack zerriß und sein rotes Haar leuchtete einen Augenblick, bevor es im Wasser verlöschte wie ein Licht im Wasser.
»– deiner Seele gnädig sein.« Aber der Kapitän
kam zu spät. Mister Taplow war ungesegnet davon-
gegangen. Ein sehr unheilschweres Schweigen folgte
diesem Unglücksschlag. Dann ganz plötzlich ertönte
die Stimme des Holländers von oben: »Der Segel!
Wieder der Segel! Sehr niedrig in Wasser. Der Segel!«
Die Esperance. Noch mit uns in dem eisernen
Wind. Mister Trumpet sah mit schnellem, ungläubi-
gem Lächeln von Taplows Grab hoch, und der Geist
des Schiffes erhellte sich auch, denn die Sicht eines anderen Schiffes vertrieb ein wenig die Einsamkeit …
Aber das dauerte nicht sehr lange. Das Wetter ver-
schlechterte sich schon, als wir da standen, und bald rief der Holländer herunter: »Nein! Nix! Nil!«
Als wir vor dem mächtigen Wind dahinflogen, dachte
ich an die gespenstisch auftauchende Esperance –
wenn sie es gewesen war – und daß sie sehr bald,
vielleicht jetzt schon, über Mister Taplows Grab sein und er einen Augenblick dem näher sein würde, wo-für er gestorben war.
In der Nacht des fünften Tages nach seiner Bestat-
tung, als sich der Sturm gedreht hatte, um uns einen Punkt weiter nach Süden zu verschlagen, kam Taplow zurück. Nachher wurde behauptet, es hätte an
76
jenem Tag, bevor das Licht verdämmerte, seltsame
Schauspiele am Himmel gegeben: gehörnte Untiere,
sich klammernde Hände und ein Schiff unter vollen
Segeln.
Dann sah der Holländer wieder die Esperance ein
paar Minuten nach Mittag. Sie lag niedriger im Was-
ser als zuvor und ihre Marssegelrahen schienen den
Wellen preisgegeben. Aber trotzdem schien sie mit
uns mitzuhalten, als sei ihr Geschick dasselbe wie unseres, wohin uns auch unser endloser, südwestlicher Kurs bringen mochte. Später erinnerte man sich auch der wirklichen Esperance genau wie der im Himmel:
denn sie schien immer aufzutauchen, bevor uns ein
Unheil widerfuhr.
Es war Mister Jarvis, der ihn sah, kurz nach Mit-
ternacht, wie er an der Backbordreling entlangging.
Er erschien mit dem Mond, der aus den wirbelnden
Wolken herausflog. Er war noch in seinem verschos-
senen rotweißen Hemd, das er bis zu seinem Tod ge-
tragen hatte. Und danach. Und ein Loch war in sei-
nem Rücken, zwischen den Schultern, wo der
Marlspieker reingefahren war.
»Er war es, sage ich euch. Er war es.«
Ich habe nie einen so erschreckten Mann gesehen
wie Jarvis in jener Nacht. Ich dachte, er würde daran sterben. Seine Augen quollen aus dem Kopf, und sein pockennarbiges Gesicht zuckte die ganze Zeit. Als die Laterne am Vorderdeck schwang, starrte er unverrückt in die Schatten, als ob
Weitere Kostenlose Bücher