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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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schwan-
    kend durch die schaukelnde Kajüte und legte mir die Hand auf den Kopf. »Keine Spur von Fieber mehr,
    und doch sind deine Augen glänzend wie Sterne.«
    Er setzte sich nicht neben mich, wie ich halb er-
    wartet hatte, – da ich mich erinnerte, wie ungezwungen er sich einst neben mich an Deck gehockt hatte.
    »Ich bleibe nicht lange. Ich will dich nicht ermü-
    den. Als ich in meiner Kajüte krank lag, schätzte ich den Frieden und die Stille. So wird’s dir wohl auch 71
    gehen, wie? Ich habe nur reingeschaut, um dir zu
    danken, Jack, weil du mir das Leben gerettet hast.
    Dank dir, dank dir. Du hast mir eine große Bürde
    auferlegt, und ich muß mich ihrer entledigen, bevor der letzte Spruch gesprochen ist.«
    Er ging die ganze Zeit umher, als sei zwischen uns
    eine Befangenheit, die vorher nicht da war. Offen-
    sichtlich wollte er wieder fort. Aber ich hatte sein Leben gerettet. Darauf kam es an.
    »Dann wollen Sie dran denken, Sir«, sagte ich voll
    großer Hoffnung, »daß ich Sie dieses Mal gerettet
    habe?«
    Er sah mich an mit einem Blick, daß ich wünschte,
    ich hätte nicht gesprochen. Seine Fischaugen drangen mir mit etwas wie Geringschätzung mitten in die Seele. Aber einer von uns mußte ja Buch führen …
    »Ich werde mich erinnern, Junge, denn es ist nicht
    meine Gewohnheit zu vergessen.«

    Am nächsten Morgen (obwohl er schwarz war wie
    die Nacht) weckte mich Mister Morris, der ein blutiges Tuch um den Kopf trug, und sagte mir, es ginge
    mir besser. Dahin waren meine Hoffnungen, daß ich
    sein Gast bleiben könnte. Er ließ kein Wort darüber fallen, was ich getan hatte: er sah, daß ich lebte und deutete mit dem Daumen auf die schwingende Tür.
    Zurück dahin, wo ich hergekommen war: zurück, wo
    ich hingehörte: zurück zu Mister Pobjoys Kombüse.
    Die Wunde war verheilt und ich war wieder Mister
    Pobjoys Schorf.
    72
    Von der Meuterei blieb also nichts übrig außer Mi-
    ster Taplow, der im Laderaum an den Hauptmast
    gekettet war. Und von dem war auch nicht allzuviel
    übrig, denn er war durch die Finsternis und seine zerstörten Hoffnungen völlig dem Wahnsinn verfallen.
    Dann war endgültig Schluß mit ihm, und auf eine
    stille und grausige Weise.
    Als Mister Pobjoy die Luke öffnete, um ihm das
    Essen runterzuwerfen, sah er, daß er tot war; und mit einem Marlspieker mitten durch den Rücken. Wer
    das getan hatte, schien kein großes Geheimnis. Vor-
    her hatte der Kapitän Taplow sagen lassen, er solle mit seinem Geheul aufhören, oder er werde selbst
    damit Schluß machen. Jetzt heulte er nicht mehr. Im Laderaum herrschte also Frieden, aber außerhalb war davon wenig zu spüren.
    VIII
    Wir begruben Mister Taplow zwei Tage nach seinem
    Tod. Vordem war das Wetter zu wüst gewesen, und
    wir rollten und stampften so sehr, daß es unmöglich gewesen wäre, etwas so Schweres wie die Leiche des
    Wallisers aus dem Laderaum nach oben zu holen.
    Aber irgendwann war Mister Pobjoy unten gewesen,
    um ihn »auszulegen« und in eine Art grobe Sack-
    leinwand einzunähen »aus Respekt und Anstand für
    den armen, ermordeten Toten«. (Ich fragte mich,
    wessen Einfall das gewesen war: die des einfältigen 73
    Mister Pobjoy oder des tiefinnerlich auf Anschläge
    sinnenden?) Während dieser zwei Tage wurde vom
    Mord nicht gesprochen.
    Aber wenn auch nichts geredet wurde, wurde doch
    viel gedacht. Ich hatte die Charming Molly niemals
    so mit Schweigen geflickt erlebt. Ganz sicher und ge-wiß hatte Mister Taplow verdient, was er kriegte.
    Aber nicht in den Rücken und in Ketten. Ein Mann
    wie Mister Taplow verdiente, daß er sein Ende kom-
    men sah, und imstande war, sich darauf vorzuberei-
    ten … nicht im Dunkel und in den Rücken …
    Das, muß ich sagen, war nicht meine Meinung,
    aber die Meinung, die um mich herrschte. Was mich
    betrifft, so wußte ich nicht, was ich denken sollte. Es war so viel Böses auf dem Schiff, daß es unmöglich
    war, es auszuwiegen und auseinanderzuteilen: es
    blieb immer noch etwas übrig …
    »Er hat ’s getan«, hatte Mister Pobjoy gesagt, ohne zu zweifeln oder überrascht zu sein. Und Mister Pobjoy war ein Mann, der sich meines Wissens nie geirrt hatte. Aber trotzdem war es schwer zu glauben … Er
    war noch zu unsicher auf den Beinen, um in den La-
    deraum hinunterzuklettern. Es war nicht möglich.
    Aber wenn er nun Mister Morris befohlen hatte, es zu tun? Mister Morris hätte ihm gehorcht, bis zu den
    Pforten der Hölle. »Töte den Burschen, der so schreit,

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