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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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schläfst, alter Junge?«
    »Ich bin ein Findling«, erwiderte ich. »Niemand
    hat’s mir beigebracht.«
    »Was, das ist einfach. Bloß auf die Knie, die Hän-
    de zusammen und wende dich mit demütiger Stimme
    an den Himmel. Mehr ist das nicht.«
    »Warum soll das so sein?«
    »Ein Brauch, alter Junge, genau wie man vor einer
    Dame das Haupt entblößt oder für den König ein-
    steht. Ein Brauch, der Respekt zeigt, sozusagen.«
    »Und worum soll ich beten?«
    »Nun, da du allein bist, alter Freund, bete für
    dich. Bitte um Gnade für deine Seele. Befiehl sie dem Herrn, wie man so sagt. Das kann nie was schaden.«

    Sowie er fort war, schlief ich ein und träumte die
    ganze Nacht vom Signal. Erst war es eins, dann das
    andere. Ein Nicken von Mister Clarke, ein Zwinkern
    von Sam Fox, ein Spucken von Mister Taplow, Mi-
    ster Trumpet, der sich die Nase schnaubte … In mei-
    nem Traum flog ich von Ort zu Ort – und immer ge-
    schah etwas hinter mir. Männer traten vor mich,
    zupften mich am Arm und riefen: »Clarke hat ge-
    zwinkert, Jack. Was sagt dir das?«
    »Sam Fox hat genickt, Jack. Was sagt dir das?«
    58
    Dann schnellte ich herum, nur um zu hören: »Ta-
    plow hat gespuckt, Jack – hinter dir.«
    »Mister Trumpet hat die Nase geschnaubt, Jack –
    hinter dir.«
    Ich muß hundertmal herumgefahren sein, denn als
    ich aufwachte, war das Lumpennest, das mir als Bett diente, um mich gewickelt wie ein Leichentuch.

    »Zu viele Bäuche«, knurrte Mister Pobjoy, als der
    letzte der Mannschaft gekommen und mit seiner Por-
    tion Essen gegangen war. »Die oder der Sturm sind
    das Ende dieses verfluchten Kahnes.«
    An Deck war alles sicher vertäut, und die geflickte Sturmbesegelung hing kläglich von den Rahen. Überall standen, lehnten und klammerten sich stumme
    Männer, denn bis zum Ausbruch des Unwetters war
    nichts mehr zu tun. Verwildert und schwarz gegen
    die Leinwand und den Himmel hingen sie in den
    Wanten und auf den Rahen und regten sich nicht
    mehr als die hängenden Segel. Man hörte schon nicht mehr das Schreien der Möwen, denn das Meer war
    von allem bis auf uns entleert unter dem düsteren,
    furchtbaren Himmel.
    Mister Trumpet war an der Backbordreling und
    ganz in den Anblick der glatten öligen See versunken.
    Aber die Esperance, wo immer sie gewesen sein
    mochte, blieb außer Sicht.
    Dann rief der Holländer oben auf dem Quersaling
    aus: »Ein Segel! Ein Segel!« und eine Zeitlang
    herrschte Erregung. Aber trotz allen Starrens konnte 59
    es niemand sonst erblicken, und selbst der Holländer schrie herunter: »Sehr weit weg. Tief im Wasser.
    Geht weg. Ist weg. Nein, nichts, nil.«
    Mister Taplow stand direkt vor dem Hauptmast
    und hatte eine große Hand auf das Fall gelegt. War
    das Sichten eines Segels das Signal gewesen? Er rührte sich nicht. Mister Trumpet sollte aufs Achterdeck gehen. Soviel, hatte ich gehört. Aber war das vor dem Signal oder danach? Mister Trumpet rührte sich auch nicht: er schaute nur hoch zu dem Holländer, als er rief, und dann wieder über den Bug auf der Backbordseite. Das Signal mußte noch kommen.
    »Wieder der Segel!« rief der Holländer, und Mister
    Morris hob sein Teleskop und suchte den Horizont
    auf der Backbordseite ab.
    »Jetzt sehe ich es!« rief Mister Trumpet und ver-
    ließ seinen Standort, um einen besseren Aussichts-
    punkt zu finden.
    Aber jetzt sahen es auch drei oder vier andere, und ein paar Sekunden war der drohende Himmel vergessen. Ich stand nicht weit vom Vorderdeck auf der
    Backbordseite und beobachtete Mister Taplow, daß
    mir fast die Augen aus dem Kopf fielen. Ich konnte
    ihn nicht ganz sehen, weil der Hauptmast zwischen
    uns stand, aber ich konnte seine große Hand noch
    auf dem Fall sehen und den flatternden Ärmel seines verschossenen rotgestreiften Hemdes: denn eine Brise war aufgekommen.
    Vorsichtig kamen die Segel weg vom Mast und
    knatterten und klatschten, als die tiefen Knitterfalten 60
    sich glätteten. Mister Taplows Halt am Fall wechsel-te. Ich ging herum, um ihn besser im Auge zu haben.
    Der Wind kam und ging in Stößen und machte ein
    seufzendes Geräusch, wenn er durch die Takelage
    strich. Einen Augenblick lang flog eine beinahe weiße Sonne aus dem Dunkel. Sie war direkt zu unseren
    Häupten. Mittag.

    Mittag! Wo war Mister Trumpet jetzt? Er war dicht
    ans Achterdeck gerückt. Aber Mister Taplow regte
    sich nicht. Das Signal mußte bald erfolgen. Er hatte eine gute Zeit ausgesucht. Die Blicke der ganzen
    Mannschaft waren auf

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