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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Taplow darin verborgen wäre. Sam Fox in seiner Ecke saß steil aufrecht, und 77
    auch er sah nicht glücklich aus, als er hörte, daß sein furchtbarer Freund zurückgekommen sei.
    »Hast du sein Gesicht gesehen, alter Junge? Hat er
    sich dir zugewandt?« fragte Mister Trumpet.
    »Sein Gesicht?« rief Mister Jarvis und rieb sich die Augen, als wolle er die Erinnerung wegreiben. »Sein Gesicht! Es troff und sah grau aus. Meerwasser floß darüber, als sei sein großer Kopf damit gefüllt.«
    »Hat er mit dir gesprochen? Hat er etwas gesagt?«
    »Kein Wort. Ging nur an der Backbordreling ent-
    lang, als ob er mir das Loch in seinem Rücken zeigen wollte. Wasser floß, als ob sein ganzer Körper vom
    Meeresgrund voll sei.«
    »Du hast den Verstand verloren, Jarvis!« sagte Mi-
    ster Morris kurz. »Taplow ist tot und unter dem
    Meer. Er wird nicht zurück sein vor dem Jüngsten
    Gericht. Du mußt Tomkyn auf der Backbordwache
    gesehen haben.«
    Wenn aber Mister Jarvis wirklich Tomkyn gesehen
    hatte, war er der letzte, dem das geschah. Mister
    Tomkyn war weg, – von der Schiffsfläche verschwun-
    den.
    »Über Bord gefallen«, schloß Mister Morris.
    »Aye«, pflichtete Mister Pobjoy bei. »Über Bord
    gefallen – oder mitgenommen.«
    Diese Nacht fragte ich gerade heraus, ob er glaub-
    te, daß Taplow zurückgekommen sei.
    »Vielleicht, lieber Junge, vielleicht ist er das. Und wenn er’s getan hat, dann hat er diesem Schiff einen Riesengefallen getan. Er hat den armen Tomkyn ge-78
    nommen, möge er faulen. Und nie wurde eine Seele
    weniger vermißt als Mister Tomkyn.«
    Er hob den Becher mit Gin: »Hier trinke ich auf
    Mister Taplow, wo immer er sein mag. Mögen seine
    armen, angeknabberten Gebeine in diesen feuchten,
    windigen Nächten warm bleiben.«
    Mehr kriegte ich nicht aus ihm raus. Als er seinen
    Becher geleert hatte, ging er gleich schlafen und ließ mich in der schaukelnden, stöhnenden Finsternis an
    Mister Taplow denken. In meinem ganzen Leben hat-
    te ich noch keinen Geist gesehen. Aber ich hatte auch China noch nicht gesehen oder den König oder Lord
    Sheringham, der vergangenes Jahr fünfundzwanzig
    mörderische Wegelagerer hatte hängen lassen … Ich
    begann in schauriger Erwartung zu schwitzen und zu
    prickeln. Mister Taplow hatte mich nicht sehr ge-
    schätzt, als er lebte: eine Woche auf dem Meeres-
    grund hatte wahrscheinlich sein Urteil nicht geändert.
    Wenn Mister Taplow zurück war, dann wollte er
    mich! Mister Morris, den Kapitän und mich! Und je-
    de Sekunde erwartete ich ihn.
    Aber er kam weder zur Kombüse noch zu einem
    anderen Teil der Charming Molly in jener Nacht,
    auch die nächsten zwei Nächte nicht, so daß es
    schien, er sei fort und bei uns spuke es nicht mehr.
    Dann sah ihn William Hughes, der die Wache auf
    dem Vorderdeck hatte und schrie »Taplow!« Aber
    Taplow ging ungerührt an der Backbordreling entlang, zeigte das große schwarze Loch in seinem Rücken und wandte sich nicht, um auf den Anruf zu antworten.
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    William Hughes vergaß vollkommen Carfax, der
    die Backbordwache hatte, und kam hereingeflüchtet
    und ließ ihn dort. Es war fast schon Tageslicht, als man sich an Mister Carfax erinnerte und man zu suchen begann und nach ihm rief und schrie. Aber er
    war fort, geradeso wie Mister Tomkyn vor ihm fort
    war, und das ganze panische »Carfax! Carfax! Wo
    bist du, Carfax?« verwirbelte in die schwarze Wolke hinter uns.
    Um einen weiteren Mann erleichtert, flogen wir
    nach Südwesten mit einer Panik an Bord, die sich
    verbreitete wie die Pest. Halbwegs gegen Mittag
    rutschte ein Mann in den Wanten aus und wurde nur
    dadurch gerettet, daß er sich fast erhängte. Als man ihn runterholte, schwor er, er hätte eine Hand an seinem Knöchel gefühlt, die ihn abwärts zerrte.
    »Ich fühlte seinen Atem auf meinem Gesicht. Ta-
    plows Atem – stinkend – fühlte ihn an meiner Bak-
    ke.«
    Und man konnte es ihm nicht ausreden – nicht
    einmal Mister Morris. Denn dieser Mann war gelen-
    kig wie ein Affe und in all den Jahren an Bord nie
    ausgerutscht. Bis zu den Rahen der Bramstenge war
    er gewesen, in Sturm und Unwetter, war nie gestol-
    pert oder gestrauchelt oder hatte einen nackten Fuß falsch gesetzt. Er war von einer Hand, die er nicht sah, von seinem Standort gezogen worden, und etwas
    hatte ihm in sein gewürgtes Gesicht geatmet.
    Das Schiff war krank, und selbst Mister Morris
    konnte es nicht heilen: Die Männer hatten mehr
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    Angst vor dem toten Mister Taplow als

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