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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Ankla-
    gebank. Fragen … Fragen … selbst vom Schreiber
    (Gott weiß, was er gefragt hat, und ebenso: Gott
    weiß, was ich geantwortet habe.)
    »Er war also der Mann, der dir das Versprechen
    gegeben hat?«
    »Ja, er war der Mann.«
    Auch kann ich mich nicht mehr erinnern, wer frag-
    te, was das für ein Versprechen war: ob Mister
    Trumpet, der Richter – oder der Gefangene. Oder
    vielleicht war es eine Stimme in meinem verworrenen Kopf, auf die ich laut antwortete.
    Ich erzählte dem Gericht, meinen Freunden und
    der Welt ganz genau von dem Versprechen, das mich
    wie ein guter Rückenwind ununterbrochen angetrie-
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    ben hatte, seit ich davon hörte. Mein Geheimnis,
    mein tiefes, tiefes Geheimnis war raus. Es machte einen mächtigen Eindruck. Wie wertgehaltene Möbel,
    die so prächtig sind, wenn sie im Hause stehen und
    so erbärmlich, wenn sie auf die Straße gestellt werden. So schäbig und klein.
    »Was? Darauf hatte er gehofft? Mein Gott! Welch
    ein Dummkopf!«
    Wie schon gesagt, es machte einen mächtigen Ein-
    druck. Auf wen? Mister Trumpet? Er sah aus, als
    hätte er Mitleid mit mir. Aber gewiß sah ich kein anderes Gesicht, das mehr als nur belustigt und erstaunt aussah, weil es so einem wie mir etwas ausmachen
    sollte, wer und was ich war.
    So warf ich also mein Gewicht in die Waagschale –
    und das verpuffte wirkungslos: ebenso für Lord She-
    ringham auf der Anklagebank wie für Lord Shering-
    ham auf dem Richterstuhl.
    Der Richter blickte auf mich nieder und schüttelte
    den Kopf. Was bedeutete ihm das alles? Nichts. Mi-
    ster Trumpet winkte mich aus dem Zeugenstand. Da
    war nichts mehr rauszuholen. Ich hatte meinen
    Dienst geleistet. Jetzt war es Zeit, Schluß zu machen.
    Ich hörte den Richter sagen: »Genug – genug. Schafft sie fort.« Er hatte gewonnen.
    Die Wachen nahten sich, das Gericht kam zur
    Ordnung, als sich Mister Trumpet umdrehte und zu
    einem letzten Angriff überging.
    Erstaunlicher Mann! Er kletterte hoch zum Zeu-
    genstand, wie man den Hauptmast zum Quersaling
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    hinaufklettert: was ich ihn in seinem ganzen Leben
    nie habe tun sehen – und doch war Mister Trumpet
    in allem sehr seemännisch. Dann packte er die beiden hölzernen Pfosten, als wolle er sich im Sturm festhalten, und beugte sich zum Richter hinüber.
    Völlig ungebeten, mit aller Macht seiner lauten
    Stimme, schwor er, die Wahrheit zu sagen, schwor
    vor dem jetzt wütenden Richter und seinen plötzlich willfährigen Helfern, die bereit und versessen waren, Mister Trumpet herunterzuzerren.
    Aber mit beredsam geschwenkten Armen – was die
    Annäherung erschwerte – und eisernem Gesicht brei-
    tete er vor dem Gericht die Geschichte von seinem
    Besuch in der Dover Street 17 aus. Er erzählte, wie er den Mann auf dem Richterstuhl – der allerdings
    nichts ahnte – bestach, diesen erstaunlichen Morgen zu arrangieren.
    Die Weiße Lady. Er sprach davon – und das Ge-
    richt wurde von unheimlichen, glitzernden Träumen
    erfüllt. Wenn an jenem Morgen einer da war, der von dem großen Diamanten nie gehört hatte, dann erzählten’s ihm zehn Nachbarn in Windeseile, daher hatte
    niemand einen Grund, unwissend zu sein.
    Die Weiße Lady! Ihr Name war auf aller Lippen. Es
    war wie damals im Wald, als Mister Morris noch lebte und das schlimme Geflüster rings um uns zischelte.
    »Die Weiße Lady? Sie müssen wahnsinnig sein.
    Was sollte ich von einem solchen unheilvollen Trödel wissen?«
    »Sie leugnen es?«
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    »Mit aller Bestimmtheit.«
    »Sie leugnen, daß ich Sie besucht habe?«
    »Ebenfalls – ebenfalls –«
    »Sie leugnen, mich schon einmal gesehen zu haben?«
    »Ich leugne es. Gott sei Dank, habe ich Sie noch
    nie gesehen.«
    »Sie lügen.«
    »Sie sind wahnsinnig.«
    »Ich frage noch einmal: haben Sie mich schon ein-
    mal gesehen?«
    »Niemals.«
    »Dann haben Sie’s vergessen. In kaum einer Wo-
    che haben Sie’s vergessen. Ein so fehlerhaftes Ge-
    dächtnis macht einen schlechten Richter, einen fal-
    schen Richter, einen zu richtenden Richter – der zu leicht befunden wird.«
    »Ich vergesse nicht und werde nicht vergessen, und
    auch Sie werden diesen gefährlichen Morgen nicht
    vergessen. Nie werden Sie ihn vergessen.«
    »Weil Sie mich vergessen haben?«
    »Hören Sie, Mann: wenn ich Sie auch nur einmal
    gesehen hätte – vor zwanzig Jahren –, würde ich mich entsinnen. Nicht, weil Ihr Gesicht sich besonders ein-prägt, sondern weil mein Gedächtnis ausgezeichnet ist.
    Es wäre mir ebenso

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