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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Land reisen
    und dort bis nach Weihnachten bleiben würde. Sogar
    Lord Mounteagle sagte: »Natürlich gehen Sie aufs
    Land.«
    Worauf Lord Sheringham kurz erwiderte: »Nein,
    ich bleibe in der Stadt. Wenn ich es wäre, der gehängt würde, versichere ich Ihnen, Sir, daß dieser Mann in Tyburn wäre, um zuzusehen. Er wird mich nicht
    wieder aus meinem Haus vertreiben.«
    »Selbstverständlich, selbstverständlich –.« Und
    dann stampfte Lord Mounteagle, dieser großartige
    alte Mann, fast demütig hinaus.
    Gegen Ende war Lord Sheringham von der Idee
    besessen, daß ein Ausbruch stattfinden würde; Tatsa-266

    che war, daß er jeden Morgen in der Frühe aus dem
    Gefängnis Bescheid bekam, ob die Nacht ohne be-
    sondere Ereignisse vergangen war.
    Manchmal glaubte ich, daß er insgeheim auf etwas
    dergleichen hoffte; denn jedesmal, wenn die Nach-
    richt eintraf, verfiel er in entsetzte Verzweiflung: »Er ist noch da, noch da.«
    Er schlief abscheulich schlecht. Nacht für Nacht
    hörte ich ihn umherwandern, manchmal ging er so-
    gar um zwei oder drei Uhr morgens auf die Straße …
    (Es gab Tage und Nächte, an denen ich Mister Trum-
    pet aufs bitterste vermißte. Er hätte gewußt, was zu sagen oder zu tun war, und ich wußte es nicht.)
    In der Nacht des 22. ging er überhaupt nicht zu
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    Bett. Ich glaube, er ist eine Weile ausgegangen und kam dann zurück, setzte sich in die Bibliothek und
    las sich laut vor. Zuerst dachte ich, er lese murmelnd die Bibel, aber dann entdeckte ich zu meiner Verwunderung, daß er »Robinson Crusoe« las. Ich habe
    nie rausgekriegt, warum er in einem solchen Augen-
    blick auf so ein Buch zurückgriff. Als ich am Morgen nach unten kam, lag es noch geöffnet vor ihm, und er begann es sofort mit großer Lebhaftigkeit zu bespre-chen, als sei er eben erst darauf gestoßen.
    Es regnete – ein feiner, trübsinniger Regen, der einen durchtränkte, ohne, wie es schien, erst zu nässen.
    Wie grauenhaft, im Regen gehängt zu werden, dachte
    ich unablässig, während er weiterschwatzte. Denn er schwatzte wirklich, indem er unvermittelt von einem Thema zum andern sprang, und kümmerte sich nicht
    darum, ob Fragen beantwortet wurden oder nicht,
    solange er die Luft mit Worten statt mit Gedanken
    füllen konnte.
    Etwa um neun Uhr trat er ans Fenster und wollte
    nicht wieder fort. Gegenüber, auf der anderen Stra-
    ßenseite stand ein gut angezogener Mann in Schwarz.
    Das war der Mann, der jeden Morgen von Newgate
    gekommen war: heute trug er seine beste Kleidung.
    Sheringham wandte keinen Blick von ihm.
    Um halb zehn richtete sich derselbe schwarz ge-
    kleidete Mann auf. Er sah gespannt die Straße hinauf
    – und nickte. Danach nahm er den Hut ab und schritt mit bloßem Haupt auf Piccadilly zu. Er muß bis auf
    die Haut durchnäßt gewesen sein. Es war vorüber.
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    Signale von einer Tyburn nächstgelegenen Stelle wa-
    ren über die Dächer bis zur Dover Street weitergegeben worden.
    Dann plötzlich, ganz plötzlich drehte sich mein
    Freund um; sein meist verschlossenes Gesicht schien von einer ganz ungewöhnlichen Erregung förmlich
    verwandelt. Wenn ein anderer Ausdruck darauf ge-
    wesen war, etwa Trauer oder Angst, dann hatte es
    nur das Fenster gesehen und nur für den Bruchteil einer Sekunde. Sein neues Gesicht erhellte das Zimmer; ich habe nie einen Mann gesehen, dem sich ein so
    mächtiges Gefühl entrang.
    »Jack, weißt du, was für ein Tag es ist?«
    Ich konnte nicht denken. Ich wußte nicht, was er
    von mir erwartete.
    »Der Tag vor Heiligabend! Noch ein Tag! Komm,
    mein Junge. Worüber grübeln wir in diesem öden
    Zimmer? Komm raus und in die Stadt, und ich kaufe
    dir ein Weihnachtsgeschenk. Eines? Ich kaufe dir ein Dutzend.«
    Dann immer noch in seiner fieberhaften Erregung
    zerrte er mich raus – wartete nicht auf die Kutsche, achtete nicht des Regens – raus und hin zu den Läden um Haymarket.
    Das war eine erstaunliche Eingebung von ihm,
    ganz aus dem Augenblick geboren. Denn als wir zu
    den Läden kamen, entdeckte er, daß er ohne Geld
    gekommen war.
    Aber die Ladeninhaber erkannten ihn und fühlten
    sich geehrt, ihm Kredit zu geben. Wir gingen von ei-269
    nem zum andern. Wenn er gleich hätte zahlen müs-
    sen, hätte ich nicht halb soviel bekommen.
    Ich bekam eine emaillierte französische Uhr, ein
    Paar Schnallen aus Filigransilber, einen Stock mit
    Goldknauf, Seide und Samt für einen neuen Anzug,
    ein Paar ziselierte Pistolen, Duellsäbel – und der
    Himmel weiß, was

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