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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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ihren Namen dazu, da-
    mit sie auch recht verstünde, daß sie für einen gut ausgeführten Auftrag bezahlt wurde. Er hatte nicht
    den Wunsch, sie zu demütigen. Sie wurde »Mrs.
    London« genannt.
    Der Brief kam um zehn Uhr morgens, um sieben
    Uhr desselben Abends war ich auf dem Weg nach
    Newgate. Das war meine eigene Entscheidung. Nie-
    mand hatte meinen Gedanken nach dieser oder jener
    Seite einen Stoß gegeben. Mein letzter noch übriger Freund, Seine Lordschaft, hatte geschwiegen. Unbe-teiligt, so schien es mir, hatte er zugesehen, wie ich auf der Strömung meiner unglücklichen Träume da-hintrieb. Er wußte, daß ich von dem Schemen der
    Mrs. London heimgesucht wurde: »London«, wovon
    »Holborn« ein kleiner Teil ist; daß ich mich fragte, ob das der letzte große Schabernack war, den er mir spielte. Ihr trauriges und verwüstetes Gesicht stand mir dauernd vor Augen – wie es beabsichtigt war.
    Daß sie einmal ein Kind ausgesetzt hatte, war nicht schwer vorstellbar, aber daß ich dieses Kind gewesen war, war ein brutaler Gedanke.
    Ungefähr um dreiviertel sieben sagte mir mein
    Freund unvermittelt, daß er die Kutsche für mich be-260
    stellt hätte, falls ich sie gebrauchen wollte. Dann ließ er mich stehen und ging in sein Arbeitszimmer, wo
    ihn ein großer Stapel Akten erwartete. Ich schob die Schuld an seiner Gleichgültigkeit und Geistesabwe-senheit auf diese und auf Gedanken an Mister Trum-
    pet. Es tat mir leid, daß mein Problem zu einer so un-günstigen Zeit auftauchen mußte.
    Thomas, der stämmigste der Bedienten, fuhr mit
    mir in der Kutsche: ein großer Pudding von einem
    Mann, der die ganze Zeit auf seine Hände starrte, als frage er sich, was sie im Sinne hätten.
    Newgate stank wie die Bilge von ganz London.
    Man kriegte schon eine halbe Meile entfernt gelegentliche Duftproben. Ich folgte Thomas: er kannte sich gut aus. Er fragte den Wärter, wo unser Mann zu
    finden wäre.
    Der Platz, in dem er untergebracht war, war sehr
    voll: das gefiel ihm so. Man hatte ihm eine bessere Unterkunft angeboten –, ja sogar schon bezahlt –
    aber er hatte abgelehnt. Ich spähte durch das Gitter.
    »Wollen Sie rein?«
    »Gleich – gleich!«
    Der Wärter und Thomas murmelten und zogen
    sich ein bißchen im Gang zurück, während ich in den Schmelztiegel von Gelaß hineinstarrte.
    Er war beschäftigt. Zu einer solchen Zeit ist Be-
    schäftigung gut für den Menschen. Grübeln macht
    marode und verrückt – und führt zu unziemlichen
    Szenen am Galgen.
    Es war ihm gelungen, sich sauber und vornehm zu
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    halten. Man entdeckte kein Anzeichen von Verzweif-
    lung. Er ragte heraus, da er entschieden, zuversichtlich und unbekümmert war. Andere lehnten, schli-
    chen, murmelten, beklagten sich bei ihren Besuchern, stritten sich verdrossen, versuchten zu dösen. Er blieb lebendig. Die Niedergeschlagenheit erregte ihn und
    machte ihn fast zum Sieger, da er darüberstand.
    Ein Mann, der dran war, am Morgen gehängt zu
    werden, zog ihn mächtig an. Mehrere Male ging er
    hin und starrte ihn in unverwüstlich guter Laune an.
    Der Kerl hatte offensichtlich Angst: weiß wie ein La-ken. Der Gedanke an das Kommende raubte ihm fast
    den Verstand. Man konnte ihn nicht aufmuntern,
    nicht einmal mit der Prophezeiung, daß er jetzt zwar bleich sei, aber demnächst, am Morgen, violett und
    lila sein würde. Hatte er Löcher in den Strümpfen? Er solle sich lieber vergewissern, denn er würde die
    Schuhe wegstrampeln, wenn er in der Luft tanzte.
    Diese und andere Scherze machten den armen
    Mann zu Sülze und verschlimmerten seinen Zustand
    so, daß selbst die Bitten seiner Frau ihn nicht aufrich-ten konnten. Was von ihm noch übrig war, der in
    seinen Ketten lag, mit den Fäusten auf den Stein
    hämmerte und unverständliches Zeug schrie, war so
    wenig Mann, daß es kaum die Mühe seiner Frau
    lohnte, bei ihm zu bleiben. Sie sollte lieber nach Hause gehen und denken, je schneller ihr Mann aufge-
    knüpft sei, um so besser wäre es für alle Beteiligten.
    Aber sie weigerte sich zu gehen und tat ihr Bestes, zu trösten und ihm ein paar Worte des Friedens und
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    der Liebe zu entlocken, damit sie ihn in besserer Erinnerung behielte.
    Zwischendurch beschimpfte sie seinen Quälgeist
    mit lauter Stimme: sie hoffte und betete, daß man ihn langsam aufhängen würde, und wenn es ihre letzte
    Tat wäre, dann wolle sie da sein und zusehen – und
    wenn sie ihre Kleider versetzen müsse, um sich einen Sitzplatz zu ergattern.
    Dann

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