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Jack Holborn

Jack Holborn

Titel: Jack Holborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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entrang … alles was er tun

     
    konnte … alles was er sagen konnte … Welch ein tödlicher Augenblick für ihn. Sein Herz muß sich in Eis verwandelt haben. Aber er schlug zurück.
    »Ich – kann – diesen – Mann – nicht – richten. Er ist mir bekannt … schon … seit langem … Ich kann ihn nicht richten. Ein anderes Gericht. Ich kann diesen Mann nicht richten …«
    Die Luft war heiß, still, atemlos geworden. Männer hatten sich halb erhoben, reckten die Hälse, der fette Mann vor uns war zum Gebirge geworden. Ich konnte nichts sehen. Was taten die Wachen? Standen wie verdattert? Und die Gerichtsdiener und Anwälte? Ein Mann hustete. Vielleicht der Schreiber, der an der ungelesenen Klageschrift würgte?
    »Ich kann diesen Mann nicht richten!«
    Mister Trumpet war von meiner Seite gegangen. Ich fühlte ihn davonschlüpfen, hörte ihn über Füße und Knie zum Mittelgang hin stolpern. Ärgerliches Flüstern folgte ihm wie ein Bienenschwarm. Dann eilte er hinunter zur Gerichtsarena; seine Füße polterten auf den Bohlen. Was nun?
    »Ich kann diesen Mann nicht richten.«
    »Warum nicht? Warum nicht?«
    Mister Trumpet hatte angefangen. Ein heftiges Gemurmel erhob sich und begann durch den Gerichtssaal zu wehen. »Wer ist das? … Wer ist er – ein Anwalt? … Was tut er da? … Er ist verrückt. Welch ein Morgen!«
    »Warum nicht?«
    »Weil –«
    »– er mein Bruder ist!«
     
    Tumult! Die gleiche Stimme – und doch spannte sie mitten im Satz fünf Meter. Wer hatte gesprochen? Der Richter? Der Gefangene? Beide. Jeder. Da noch die Stimme hinzukam, wurde die Ähnlichkeit zwischen den zwei zum Wunder – unglaublich. Augen wanderten von einem zum anderen, suchten vergeblich einen noch so kleinen Unterschied, um die beiden auseinanderzuhalten. Man fand keinen Unterschied. Die Wachen waren zur Tatenlosigkeit verdammt, unfähig dem Mann auf dem Richterstuhl zu gehorchen. Es wäre unmöglich gewesen, seinen Doppelgänger fortzuschleppen. Es hätte so geschienen, als wolle man den großen Richter selbst belästigen. Unfähig – oder nicht willens? Ein so großer Aufruhr durfte nicht versäumt werden. Solch ein Morgen mußte angemerkt, untersucht, in jeder Einzelheit als Geschichte gekennzeichnet werden, an die man sich erinnern und die man immer wieder erzählen konnte …
     
    »Er ist in der Tat mein Bruder.«
    Die Stimme kam vom Richterstuhl. Sie sprach weiter, gebrochen und leidvoll und häufte soviel Schande auf das Haupt von »Kapitän Rogers«, daß es ein Selbstporträt hätte sein können. Als schäme er sich, berichtete er der faszinierten Welt, daß sein Bruder er selbst war!
    Der Schatten am Horizont. Er sprang meine Hoffnungen an wie ein Tiger. Denn wo war der Beweis, daß der Gefangene der Richter, und der Richter, nach Recht und Gerechtigkeit der Gefangene sein sollte? Wo – wo, Mister Trumpet? Das war der springende Punkt, der übersehen worden war.
    Du lieber Gott! Mister Trumpet, Sie haben uns mit diesem einen Versehen zugrunde gerichtet. Großer Gott! Mister Trumpet, können Sie’s der Welt übelnehmen, daß sie sich nicht auf den Kopf stellt? Warum sollte der Richter auf der Anklagebank sitzen? Welcher Grund?
    »Großer Gott, aber was der Bursche da sagt! Worauf will der hinaus? Wozu soll das führen? Uns alle ins Irrenhaus – oder ihn selbst an den Galgen?«
    Der unerschrockene Mister Trumpet klagte den Richter an, falsch zu sein. Behauptete, daß »Kapitän Rogers« Lord Sheringham sei. Gerichtsdiener eilten vor, um ihm Einhalt zu gebieten, ihn fortzureißen, als:
    »Laßt ihn sprechen« – kam die Stimme des Richters. Von der Anklagebank. Einige Männer begannen zu lachen, nervös, ungläubig. Die Szene war wild. Unnatürlich. Aber wenn die Natur ihre Gesetze aufgehoben hatte, mußten die Menschen auch die ihren aufheben. Das war einzusehen …
     
    »Identitätsbeweis! Beweis! Beweis!«
    »Mister Gracechurch. Sie sind ein kluger, gelehrter Anwalt. Ins Recht vertieft. Auf dem Weg zum Richteramt. Sagen Sie diesem unverschämten Burschen, wer ich bin, und machen Sie der Sache ein Ende. Sprechen Sie, Mister Gracechurch.«
    Mister Gracechurch, ein aalglatter, ehrgeiziger Anwalt, der wegen seiner scharfsinnigen Meinungen und vorteilhaften Entscheidungen bekannt war, fummelte in schlaffen Rollen und einem großen Buch: stotterte, stammelte, bat um Entschuldigung und sagte ölig: »Aber Sie sind doch Lord Sheringham, mein Lord.«
    Worauf der Gefangene fragte: »Und wer bin ich, Mister

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