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Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen

Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen

Titel: Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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sich mit ihm? Er wendete die Frage und betrachtete sie noch einmal. Dann gelangte er zu einer ganz entscheidenden Einsicht über sich selbst und die dritte Partei.
    Folgerung drei: Isabelle. Seine Schwester. Das Komplott wurde von einer dritten Partei orchestriert, die seine persönliche Vorgeschichte kannte und aufgrund dessen vorhersagen konnte, wie er unter bestimmten kontrollierten Bedingungen aller Wahrscheinlichkeit nach reagieren würde. Die Kundenanrufe an Lilly waren das auslösende Element des Experiments. Die dritte Partei wusste, wie Pierce wahrscheinlich reagieren würde, dass er der Sache weiter nachgehen und versuchen würde, ihr auf den Grund zu gehen. Dass er prädisponiert war, dem Geist seiner Schwester hinterherzujagen. Folglich wusste die dritte Partei vom Geist seiner Schwester. Die dritte Partei wusste von Isabelle.
    Folgerung vier: Die falsche Nummer war die richtige Nummer. Er hatte Lilly Quinlans alte Nummer nicht zufällig zugeteilt bekommen. Das war Absicht gewesen. Es war Teil des Komplotts.
    Folgerung fünf: Monica Purl. Sie war daran beteiligt. Sie hatte seinen neuen Telefonanschluss beantragt. Sie musste ausdrücklich um die Nummer gebeten haben, die die Maschinerie in Gang gesetzt hatte.
    Pierce stand auf und begann, auf- und abzugehen. Im Licht der letzten Schlussfolgerung betrachtet, sah die Sache plötzlich ganz anders aus. Wenn Monica an dem Komplott beteiligt war, ging es dabei um Amedeo. Es hieß, das Ganze war Teil einer Verschwörung von größerer Tragweite. Es ging nicht darum, Pierce einen Mord anzuhängen. Es ging um etwas anderes. In dieser Hinsicht galt für Lilly Quinlan das Gleiche wie für Wentz. Sie war Mittel zum Zweck, ein Rädchen im Getriebe. Ihre Ermordung diente lediglich dazu, ihm zu schaden.
    Nachdem er seine Bestürzung darüber fürs Erste beiseite geschoben hatte, setzte er sich wieder und machte sich daran, über die wichtigste Frage nachzudenken. Die Frage, deren Lösung alles erklären würde. Warum?
    Warum war Pierce das Ziel des Komplotts? Was wollten sie?
    Er drehte es und betrachtete es aus einem anderen Blickwinkel. Was würde passieren, wenn der perfide Plan erfolgreich abgeschlossen war? Langfristig gesehen, würde er verhaftet, vor Gericht gestellt und vielleicht – wahrscheinlich – verurteilt. Er käme ins Gefängnis, würde vielleicht sogar zum Tode verurteilt. Kurzfristig gesehen, würde er ins Rampenlicht des öffentlichen Interesses gerückt, es gäbe einen Skandal, er würde diskreditiert. Maurice Goddard und sein Geld wären weg. Amedeo Technologies ginge Pleite.
    Er wendete es noch einmal, und nun wurde es eine Frage der Zweckmäßigkeit. Warum dieser Aufwand? Warum dieser raffinierte Plan? Warum Lilly Quinlan ermorden und ein kompliziertes Komplott inszenieren, das jeden Moment auffliegen konnte? Warum den Angriff nicht einfach gegen Pierce richten? Warum nicht anstelle von Lilly ihn umbringen und das gleiche Ziel mit wesentlich einfacheren Mitteln erreichen? Auch so wäre er erledigt, Goddard zöge sich genauso zurück, und Amedeo ginge genauso Pleite.
    Folgerung sechs: Das Ziel ist etwas anderes. Es ist nicht Pierce, und es ist nicht Amedeo. Es ist etwas anderes.
    Als Wissenschaftler mochte Pierce am liebsten die Momente der Klarheit im Okular eines Mikroskops, den Moment, in dem sich die Dinge zusammenfanden, in dem sich Moleküle in einer natürlichen Ordnung verbanden, auf eine Weise, die er vorhersehen konnte. Das waren die Wunder, die er in seinem Alltag erlebte.
    Ein Moment ähnlicher Klarheit überkam ihn, als er jetzt aufs Meer hinausschaute. Es war ein Moment, in dem er einen Blick auf das große Ganze erhaschte und die natürliche Ordnung der Dinge erkannte.
    »Proteus«, flüsterte er.
    Sie wollten Proteus.
    Folgerung sieben: Das Komplott diente dem Zweck, Pierce so weit in die Enge zu treiben, dass er keine andere Wahl mehr hätte, als das aufzugeben, was sie haben wollten. Das Proteus-Projekt. Er würde Proteus für seine Freiheit eintauschen, dafür, dass er sein Leben zurückbekam.
    Pierce ging bei seinen Überlegungen noch einmal ein paar Schritte zurück. Er musste Gewissheit haben. Er ging im Kopf noch einmal alles durch und kam wieder bei Proteus an. Er beugte sich vor und strich sich mit den Fingern durchs Haar. Ihm wurde schwindlig. Nicht, weil er zu dem Schluss gelangt war, dass es eigentlich um Proteus ging, sondern weil er noch einen Schritt weiter gegangen war. Er war auf der Welle der Klarheit bis an den

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