Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
Geschwindigkeit ausgelegt.
In dem Moment, in dem Pierce am Aufzug vorbeikam, verstummte das Summen aus dem Schacht. Er wandte das Gesicht ab und schob einfach weiter. Gleichzeitig lauschte er angespannt, ob die Aufzugtür aufging.
Das war jedoch nicht der Fall. Offensichtlich hatte der Lift in einem anderen Stockwerk gehalten. Erleichtert und erschöpft atmete er aus. Doch gerade als er die offene Tür von Abteil 207 erreichte, ging am Ende des Gangs die Tür zum Treppenhaus scheppernd auf, und ein Mann kam in den Korridor. Pierce zuckte zusammen und hätte um ein Haar laut losgeflucht.
Der Mann – er trug weiße Malerkleidung, sein Haar und seine Haut waren von weißen Farbspritzern übersät – kam auf Pierce zu. Er schien vom Treppensteigen außer Atem.
»Haben Sie den Lift die ganze Zeit blockiert?«, fragte er freundlich.
»Nein«, sagte Pierce, zu sehr auf seine Rechtfertigung bedacht. »Ich war die ganze Zeit hier oben.«
»War ja nur eine Frage. Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein, danke. Ich will nur …«
Der Maler ignorierte Pierces Antwort und stellte sich neben ihn. Er legte die Hände gegen die Rückwand der Gefriertruhe und deutete mit dem Kopf auf die offene Tür des Lagerraums.
»Da rein?«
»Yeah. Danke.«
Gemeinsam schoben sie die Gefriertruhe an, und sie kam rasch um die Kurve und in das Abteil.
»So«, sagte der Maler, anscheinend wieder außer Atem. Dann streckte er seine Rechte aus. »Frank Aiello.«
Pierce schüttelte sie. Mit der linken Hand holte Aiello eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Hemds und reichte sie Pierce.
»Wenn Sie mal einen Maler brauchen, rufen Sie mich an.«
»Okay.«
Der Maler schaute auf die Gefriertruhe hinab und merkte anscheinend erst jetzt, was er da in das Abteil schieben geholfen hatte.
»Ganz schön schwer das Ding. Was haben Sie da drin, eine tiefgekühlte Leiche?«
Pierce rang sich ein Lachen ab und schüttelte den Kopf, behielt aber die ganze Zeit das Kinn unten.
»Sie ist leer. Ich stelle sie hier nur ab.«
Aiello streckte die Hand aus und schnippte gegen das Vorhängeschloss.
»Und das da? Damit niemand die Luft in ihr klaut, hm?«
»Nein, ich … aber bei Kindern kann man ja nicht vorsichtig genug sein. Ich habe sie immer abgeschlossen, damit sie nicht mal reinklettern.«
»Wahrscheinlich gar keine so dumme Idee.«
Pierce hatte sich umgedreht, und das Licht war jetzt auf seinem Gesicht. Der Maler bemerkte die genähte Wunde, die seine Nase hinunter lief.
»Muss ganz schön wehgetan haben, wie das aussieht.«
Pierce nickte.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Sicher keine, die ich hören will. Aber vergessen Sie nicht, was ich gesagt habe.«
»Wie bitte?«
»Wenn Sie einen Maler brauchen, rufen Sie mich an.«
»Ach so, klar. Ich habe ja Ihre Karte.«
Er nickte und sah Aiello nach, als er aus dem Abteil ging. Seine Schritte entfernten sich den Korridor hinunter. Pierce dachte an seine Bemerkung, ob in der Gefriertruhe eine Leiche sei. Hatte Aiello einfach nur zufällig richtig geraten, oder war er etwas anderes, als er zu sein schien?
Pierce hörte draußen auf dem Flur das Klimpern eines Schlüsselbunds und dann das metallische Schnalzen eines Schlosses. Dem folgte das Quietschen eines hoch gehobenen Kipptores. Er nahm an, dass Aiello etwas aus seinem Abteil holte. Er wartete, und nach ein paar Minuten hörte er, wie die Tür wieder nach unten gezogen und abgeschlossen wurde. Kurz darauf ertönte das Summen des Aufzugs. Diesmal nahm Aiello nicht die Treppe.
Sobald er sicher war, dass er allein auf dem Stockwerk war, steckte er die Gefriertruhe ein und wartete, bis er den Kompressor anspringen hörte.
Dann zog er sein Hemd aus der Hose und wischte mit dem Zipfel alle Oberflächen der Gefriertruhe und des Kabels ab, die er möglicherweise angefasst hatte. Als er sicher war, alle Spuren entfernt zu haben, verließ er das Abteil und zog die Tür nach unten. Er schloss sie mit dem Vorhängeschloss des anderen Abteils ab und wischte auch Schloss und Tür mit dem Hemdzipfel ab.
Als er sich von dem Abteil entfernte und zu den Aufzügen ging, überkamen ihn schreckliche Schuldgefühle und Ängste. Das lag daran, dass in der vergangenen halben Stunde seine Handlungen von Instinkten und Adrenalin bestimmt worden waren. Er hatte weniger nachgedacht, als einfach gehandelt. Jetzt stand der Zeiger seines Adrenalintanks auf Null, und er hatte nichts mehr als seine Gedanken, mit denen er sich beschäftigen konnte.
Er war noch nicht
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