Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
auch ihnen die Existenzgrundlage entziehst. Betrachte das Ganze als Schützenhilfe.«
Fast hätte Pierce gelacht, aber es war zu absurd.
»Als Schützenhilfe? Das wird ja immer schöner. Vielen Dank, Cody Zeller, dass du mir den Kopf gerade gerückt hast.«
»Keine Ursache.«
»Und was bekommst du für diese großzügige Geste?«
»Ich? Ich bekomme Geld. Jede Menge.«
Pierce nickte. Geld. Die ultimative Motivation. Die ultimative Möglichkeit, den Wert einer Sache zu bemessen.
»Und was passiert dann?«, fragte er ruhig. »Angenommen, ich gehe auf den Vorschlag ein. Wie geht es dann weiter?«
Zeller saß einen Moment ruhig da und legte sich eine Antwort zurecht.
»Erinnerst du dich an dieses moderne Märchen vom spleenigen Erfinder, der in seiner Werkstatt einen Gummi erfindet, der so widerstandsfähig ist, dass er sich nie abnutzt? Es war reiner Zufall. Eigentlich wollte er was ganz anderes erfinden, aber dann kam zufällig dieser Gummi raus.«
»Er verkaufte die Formel an eine Reifenfirma, damit die Welt Reifen bekäme, die sich nie abnutzen.«
»Yeah, stimmt. Die Geschichte kenne ich. Der Name des Reifenherstellers wechselte je nach dem, wer die Geschichte erzählte. Aber die Geschichte selbst und das Ende waren immer gleich. Die Reifenfirma kauft die Formel und schließt sie in einem Safe ein.«
»Sie hat nie einen Reifen damit hergestellt.«
»Sie hat nie einen Reifen damit hergestellt, weil sie sonst nicht mehr viele Reifen hergestellt hätte, stimmt’s? Eingebaute Abnutzung, Einstein, das ist es, was die Welt in Gang hält. Aber darf ich dich mal was fragen? Woher weißt du, dass diese Geschichte ein Märchen ist? Ich meine, woher willst du wissen, dass es nicht wirklich so war?«
Pierce nickte.
»Sie werden Proteus in der Versenkung verschwinden lassen. Sie werden es nicht zum Patent anmelden. Es wird nie das Tageslicht erblicken.«
»Weißt du, dass die Pharmaindustrie für jedes neue Medikament, das auf den Markt kommt, nachdem die FDA endlich grünes Licht erteilt hat, mehrere hundert andere neue Mittel erfindet und untersucht und testet? Bist du dir im Klaren, mit welchen Kosten das verbunden ist? Das ist eine gigantische Maschinerie, Henry, und wenn die mal läuft, lässt sie sich nicht mehr so einfach aufhalten. Das werden sie nicht zulassen.«
Zeller hob eine Hand und machte damit eine vage Geste, bevor er sie wieder auf die Armlehne des Sessels sinken ließ. Eine Weile saßen beide schweigend da.
»Sie werden zu mir kommen und mir Proteus wegnehmen.«
»Sie werden dich dafür bezahlen. Gut bezahlen. Das Angebot liegt sogar schon auf dem Tisch.«
Pierce zuckte in seinem Sessel nach vorn. Die Pose der Ruhe war schlagartig von ihm abgefallen. Er sah Zeller an, der nicht zurückschaute.
»Soll das heißen, es ist Goddard? Hinter dem Ganzen steckt Goddard?«
»Goddard ist nur der Emissär. Der Strohmann. Er ruft dich morgen an, und du machst den Deal mit ihm. Du gibst ihm Proteus. Dich braucht nicht zu interessieren, wer hinter ihm steht. Das braucht dich überhaupt nicht zu interessieren.«
»Er nimmt mir Proteus weg, er hält zehn Prozent der Firma und kriegt auch noch den verdammten Vorstandsvorsitz.«
»Ich glaube, sie wollen dafür sorgen, dass du die Finger von der Inneren Medizin lässt. Außerdem erkennen sie sehr schnell, was eine gute Investition ist. Sie wissen, dass du auf diesem Sektor allen anderen voraus bist.«
Zeller lächelte, als legte er einen Bonus drauf. Pierce dachte an Goddard und die Dinge, die er ihm während der kleinen Feier gesagt – anvertraut – hatte. Über seine Tochter. Über die Zukunft. Er fragte sich, ob das alles Theater gewesen war. Ob es alles Teil der Inszenierung gewesen war.
»Und wenn ich es nicht mache?«, fragte Pierce. »Was ist, wenn ich mich stur stelle und die Patentanmeldung einreiche und diesen Leuten sage, sie können mich mal?«
»Dann wirst du nicht die Gelegenheit bekommen, Proteus zum Patent anzumelden. Und du wirst du auch keine Gelegenheit bekommen, noch einen Tag länger in diesem Labor zu arbeiten.«
»Was werden sie tun? Mich umbringen?«
»Wenn es sein muss. Aber das wird nicht nötig sein. Was willst du eigentlich, Mann, du weißt doch, wie die Dinge stehen. Die Cops sind dir so dicht auf den Fersen.«
Zeller hielt seine rechte Hand hoch, Daumen und Zeigefinger etwa einen Zentimeter voneinander entfernt.
»Lilly Quinlan«, sagte Pierce.
Zeller nickte.
»Die bezaubernde Lilly. Ihnen fehlt nur noch eine
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