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Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen

Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen

Titel: Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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kommen? Möchtest du es ihnen erklären?«
    »Das ist mir egal. Du kannst es erklären.«
    Zeller entdeckte den roten Notgriff neben der Tür zum Leiterlabor. Er ging darauf zu und zog ihn ohne Zögern nach unten. Mit einem schlauen Grinsen wandte er sich wieder Pierce zu.
    Aber nichts geschah. Zellers Grinsen verflog. Seine Augen verwandelten sich in Fragezeichen, und Pierce nickte, wie um zu sagen, ja, er hatte die Anlage ausgeschaltet.
    Frustriert ging Zeller zu dem am weitesten von Pierce entfernten Arbeitstisch, zog den dazugehörigen Stuhl heraus und ließ sich darauf niederplumpsen. Er schloss die Augen, verschränkte die Arme und legte die Füße auf den Tisch, nur wenige Zentimeter neben einem zweihundertfünfzigtausend Dollar teuren Elektronenmikroskop.
    Pierce wartete. Nötigenfalls hatte er die ganze Nacht Zeit. Zeller hatte ihn nach allen Regeln der Kunst vorgeführt. Jetzt war es an der Zeit, den Spieß umzudrehen. Jetzt würde Pierce ihn vorführen. Fünfzehn Jahre zuvor, als die Campuspolizei die Doomsters gefasst hatte, hatten sie sie in verschiedenen Räumen untergebracht und dann schmoren lassen. Die Cops hatten nichts in der Hand gehabt. Zeller war derjenige gewesen, der zusammengebrochen war, der alles erzählt hatte. Nicht aus Angst, nicht vor Erschöpfung. Nein, aus dem Wunsch heraus zu reden, aus dem Bedürfnis, alle an seiner Genialität teilhaben zu lassen.
    Auf dieses Bedürfnis zählte Pierce jetzt.
    Fast fünf Minuten vergingen. Als Zeller schließlich zu sprechen begann, war seine Haltung immer noch die gleiche, waren seine Augen immer noch geschlossen.
    »Es war, als du vom Begräbnis zurückkamst.«
    Das war alles, was er sagte, und es verstrich einige Zeit. Unschlüssig, wie er den Rest aus ihm herausbekommen könnte, wartete Pierce. Schließlich versuchte er es auf die direkte Tour.
    »Von welchem Begräbnis?«
    »Dem deiner Schwester. Du wolltest nicht darüber reden, als du nach Palo Alto zurückkamst. Du hast alles in dich reingefressen. Eines Tages kam dann alles raus. Wir haben ziemlich gesoffen, und ich hatte von den Weihnachtsferien auf Maui noch etwas Stoff übrig. Den haben wir uns auch noch reingezogen, und dann, Mann, du konntest gar nicht mehr aufhören, darüber zu reden.«
    Daran konnte sich Pierce nicht mehr erinnern. Natürlich konnte er sich noch erinnern, in den Tagen und Monaten nach Isabelles Tod viel getrunken und alle möglichen Drogen genommen zu haben. Nur konnte er sich nicht erinnern, mit Zeller oder sonst jemandem darüber gesprochen zu haben.
    »Du hast erzählt, dass du sie einmal, als du mit deinem Stiefvater nach ihr gesucht hast, tatsächlich gefunden hast. Sie schlief in einem leer stehenden Hotel, in dem sich die ganzen Ausreißer eingenistet hatten. Du hast sie gefunden und wolltest sie retten und sie da rausholen, sie nach Hause zurückbringen. Aber sie hat dich überredet, es nicht zu tun und deinem Stiefvater nichts zu erzählen. Sie hat dir erzählt, er hätte schlimme Sachen mit ihr angestellt, sie vergewaltigt und so, und deshalb wäre sie von zu Hause weggelaufen. Du hast gesagt, sie hätte dich überzeugt, dass es ihr auf der Straße besser ging als zu Hause bei ihm.«
    Jetzt schloss Pierce die Augen. Er erinnerte sich an den Moment der Geschichte, wenn auch nicht an den Moment, in dem er es einem Zimmergenossen betrunken erzählt hatte.
    »Und deshalb bist du wieder gegangen und hast deinem Alten nichts erzählt. Und danach bist du noch ein ganzes weiteres Jahr jeden Abend mit ihm losgezogen, um nach ihr zu suchen. Nur dass du ihr ganz bewusst aus dem Weg gegangen bist und er nichts gemerkt hat.«
    Pierce erinnerte sich an seinen Vorsatz. Älter zu werden, von zu Hause wegzugehen und dann zurückzukommen, um sie zu finden und zu retten. Aber bevor er dazu kam, war sie tot. Und seitdem hatte er sein ganzes Leben lang in dem Bewusstsein gelebt, dass sie noch am Leben wäre, wenn er nicht auf sie gehört und ihr nicht geglaubt hätte.
    »Nach diesem Abend hast du nie mehr darüber gesprochen«, fuhr Zeller fort. »Aber ich konnte mich noch daran erinnern.«
    Pierce musste an die letzte Aussprache mit seinem Stiefvater denken. Es war Jahre später gewesen. Er war in Handschellen gewesen, außerstande, seiner Mutter zu erzählen, was er wusste, denn dieses Geständnis wäre einem Eingeständnis seiner Schuld an Isabelles Tod gleichgekommen: dass er sie eines Abends gefunden, aber niemandem etwas davon erzählt hatte.
    Aber irgendwann wurde die

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