Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
Firma wurde nach ihm benannt.«
»Was macht ihr dort? Mit Atomen und Molekülen spielen?«
Er hörte sie gähnen.
»Gewissermaßen. Ich bin auch Chemiker. Wir bauen einen Computer aus Molekülen.«
Er gähnte.
»Echt? Cool.«
Pierce lächelte wieder. Sie klang weder beeindruckt noch interessiert.
»Jedenfalls, der Grund, warum ich anrufe, ist, dass ich sehe, du arbeitest mit Lilly zusammen. Der brünetten Begleiterin?«
»Ich habe mit ihr zusammengearbeitet.«
»Heißt das, jetzt nicht mehr?«
»Nein, jetzt nicht mehr.«
»Was ist passiert? Ich versuche schon die ganze Zeit, sie anzurufen, aber …«
»Ich werde mit dir nicht über Lilly reden. Ich kenne dich doch gar nicht.«
Ihre Stimme hatte sich verändert. Sie hatte einen schärferen Ton bekommen. Instinktiv spürte Pierce, dass sie jeden Moment aufhängen würde, wenn er es nicht richtig anpackte.
»Okay, Entschuldigung. Ich habe nur deshalb gefragt, weil ich sie mochte.«
»Warst du mit ihr zusammen?«
»Ja. Ein paar Mal. Sie hat einen netten Eindruck gemacht, und deshalb hätte ich gern gewusst, was aus ihr geworden ist. Das ist alles. Das letzte Mal hat sie vorgeschlagen, dass wir das nächste Mal vielleicht zu dritt was machen sollten. Könntest du ihr vielleicht was von mir bestellen?«
»Nein. Sie ist schon lange nicht mehr hier, und was mit ihr passiert ist … ist einfach passiert. Mehr nicht.«
»Was soll das heißen? Was genau ist passiert?«
»Wissen Sie was, Mister, Sie gehen mir langsam auf die Nerven mit Ihren ständigen Fragen, und überhaupt brauche ich nicht mit Ihnen zu reden. Verbringen Sie die Nacht doch lieber mit Ihren eigenen Molekülen.«
Sie legte auf.
Pierce saß mit dem Telefon am Ohr da. Er war versucht, noch einmal anzurufen, aber es wäre sinnlos gewesen, etwas aus Robin herausbekommen zu wollen. Er hatte es falsch angepackt.
Schließlich legte er auf und dachte über das nach, was er erfahren hatte. Er sah auf Lillys Foto, das immer noch auf seinem Bildschirm war. Er dachte über Robins geheimnisvolle Bemerkung nach, ihr sei etwas passiert.
»Was ist dir passiert?«
Er ging zur Homepage zurück und klickte ein Feld mit der Aufschrift ANNONCIEREN SIE BEI UNS an. Er kam auf eine Seite mit Anweisungen, wie man eine Anzeige auf die Seite setzen konnte. Gegen Vorlage einer Kreditkartennummer, des Texts und eines Digitalfotos war das sogar online möglich. Um allerdings das blaue Band zu bekommen, das die Echtheit des Fotos bestätigte, musste die Annoncierende persönlich vorbeikommen, damit bestätigt werden konnte, dass sie tatsächlich die Frau auf dem Foto war. Der Ziegel-und-Mörtel-Standort der Internetseite war am Sunset Boulevard in Hollywood. Das war es, was Lilly und Robin offensichtlich getan hatten. Den Angaben auf der Internetseite zufolge waren die Bürostunden Montag bis Freitag von neun bis fünf und Samstag von zehn bis drei Uhr.
Pierce notierte sich die Adresse und die Öffnungszeiten auf seinem Block. Er wollte die Seite schon schließen, beschloss dann aber, noch einmal Lillys Seite aufzurufen. Mit dem Deskjet druckte er eine Farbkopie ihres Fotos aus. Dann schaltete er den Computer aus und unterbrach die Verbindung zum Telefonanschluss. Wieder sagte ihm eine innere Stimme, er sei in dieser Angelegenheit so weit gegangen, wie er gehen konnte. Wie er gehen sollte. Es wurde Zeit, seine Telefonnummer zu ändern und das Ganze zu vergessen.
Doch eine andere Stimme – eine lautere Stimme aus der Vergangenheit – sagte ihm etwas anderes.
»Licht«, sagte er.
Das Büro wurde dunkel. Pierce bewegte sich nicht. Er mochte die Dunkelheit. Im Dunkeln konnte er am besten nachdenken.
5
Im Treppenhaus war es dunkel, und der Junge hatte Angst. Er schaute auf die Straße zurück und sah das wartende Auto. Sein Stiefvater bemerkte sein Zögern und streckte die Hand durch das Autofenster. Er winkte den Jungen weiter, winkte ihn nach drinnen. Der Junge drehte sich wieder um und schaute in das Dunkel hoch. Er machte die Taschenlampe an und begann, nach oben zu gehen.
Da er seine Ankunft nicht ankündigen wollte, indem er in den Raum am Ende der Treppe leuchtete, hielt er die Lampe auf die Stufen gerichtet. Auf halbem Weg knarrte eine von ihnen laut unter seinem Fuß. Er blieb wie angewurzelt stehen. Er konnte das Herz in seiner Brust hämmern hören. Er dachte an Isabelle und die Angst, die sie wahrscheinlich jeden Tag und jede Nacht in ihrer Brust trug. Daraus zog er
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