Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
meisten mit Stolz erfüllte. Es war ein fast fünf Jahre altes Cover des Magazins Fortune mit einem Foto von ihm – in seiner Pferdeschwanzzeit –, auf dem er ein Plastikmodell des einfachen molekularen Schaltkreises in der Hand hielt, den er gerade patentiert bekommen hatte. Die Textzeile rechts neben seinem Lächeln fragte: »Das wichtigste Patent des nächsten Jahrtausends?«
Und darunter stand in kleinerer Schrift: »Er ist fest davon überzeugt. Das neunundzwanzigjährige Wunderkind Henry Pierce mit dem molekularen Schalter, der eine neue Ära der Computertechnik und Elektronik einleiten könnte.«
Der Moment lag nur fünf Jahre zurück, aber beim Betrachten des gerahmten Zeitschriftencovers überkam Pierce etwas wie Wehmut. Einmal abgesehen von dem peinlichen Wunderkindetikett, hatte sich Pierces’ Leben mit dem Erscheinen der Zeitschrift von Grund auf geändert. Danach war das Wettrennen erst richtig losgegangen. Die Investoren kamen von da an eher auf ihn zu als umgekehrt. Die Konkurrenten kamen. Charlie Condon kam. Sogar Jay Lenos Leute kamen, um sich nach dem surfenden, langhaarigen Chemiker und seinen Molekülen zu erkundigen. Der beste Moment überhaupt, an den Pierce sich erinnern konnte, war der, als er den Scheck für das Rasterelektronenmikroskop ausgestellt hatte.
Aber damals war auch der Druck gekommen. Der Druck, Leistung zu bringen, den nächsten Durchbruch zu schaffen. Und den nächsten. Hätte er eine Wahl gehabt, hätte er nicht zu diesem Moment zurückkehren wollen. Auf keinen Fall. Aber er dachte wegen allem, was er damals nicht gewusst hatte, gern an diesen Moment zurück. Daran war nichts auszusetzen.
3
Der Laboraufzug fuhr so langsam nach unten, dass es keine spürbaren Anzeichen für eine Bewegung gab. Das Einzige, was darauf hinwies, war die Leuchtanzeige über der Tür. Der Aufzug war ganz bewusst so konstruiert worden, um möglichst jegliche Erschütterungen zu vermeiden. Erschütterungen waren der Feind. Sie verfälschten die Anzeigen und Messungen im Labor.
Im Kellergeschoss ging die Tür langsam auf, und Pierce stieg aus. Er ging zum Zugang des Labors und öffnete mit seiner Chipkarte die erste Tür der Schleuse. Sobald er die Schleuse betreten hatte, gab er an der zweiten Tür die Kombination für Oktober ein. Die Tür öffnete sich, und er betrat das Labor.
Eigentlich bestand das Labor aus mehreren kleineren Labors, die um den Haupt- beziehungsweise Tagesraum, wie er auch hieß, angeordnet waren. Alle Räume waren fensterlos. Die Wände waren innen mit einer Kupferspäne enthaltenden Isolierschicht verkleidet, um von außen kommende elektronische Störfelder abzuhalten. Es gab kaum Bilder an den Wänden, und die wenigen beschränkten sich auf eine Reihe gerahmter Drucke aus Dr. Seuss’ Buch Horton hört ein Hu!
Zu den angrenzenden Labors gehörte das Chemielabor auf der linken Seite. Dabei handelte es sich um einen »keimfreien Raum«, in dem die chemischen Lösungen für molekulare Schalter hergestellt und gekühlt wurden. Dort war auch ein Brutschrank für das Proteus-Projekt, den sie die Zellenfarm nannten.
Gegenüber dem Chemielabor war das Leiterlabor beziehungsweise der Kocherraum, wie er bei den meisten Laborratten hieß, und daneben befand sich das Bildgebungslabor, in dem das Elektronenmikroskop stand. Ganz hinten war das Laserlabor.
Die Labors schienen leer, die Computer ausgeschaltet und die Arbeitsplätze nicht besetzt, aber Pierce roch den vertrauten Geruch von kochendem Karbon. Er warf einen Blick ins Log und sah, dass sich Grooms eingetragen, aber noch nicht ausgetragen hatte. Er ging zum Leiterlabor und schaute durch das kleine Fenster in der Tür. Er sah niemanden. Als er die Tür öffnete und das Labor betrat, schlugen ihm sofort die Hitze und der Geruch entgegen. Der Vakuumofen war in Betrieb, es wurde eine neue Ladung Karbonleiter gebacken. Wahrscheinlich hatte Grooms den Ofen angemacht und danach das Labor verlassen, um eine Pause einzulegen oder sich etwas zu essen zu holen. Das war verständlich. Der Geruch von kochendem Karbon war unerträglich.
Pierce verließ das Leiterlabor und schloss die Tür. Er ging zum Computer neben dem Arbeitsplatz und gab die Passwörter ein. Er rief die Daten der Schaltertests auf, die Grooms noch hatte durchführen wollen, nachdem Pierce früher nach Hause gefahren war, um sein Telefon anzuschließen. Laut Computerlog hatte Grooms mit einer neuen Charge von zwanzig Weichen
Weitere Kostenlose Bücher