Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
Themenseite mit einem Suchfenster landete. Er ging zu dem Fenster, tippte »Robin« ein und drückte Enter. Die Suche erbrachte keine Ergebnisse. Genauso erging es ihm mit einer Suche nach »Lilly«, aber nachdem ihm eingefallen war, dass Lucy die Foto-Session mit Lilly als »Girl-Girl« bezeichnet hatte, hatte er unter diesem Suchbegriff Erfolg.
Er kam auf eine Seite mit Thumbnails, sechs Reihen zu jeweils sechs Fotos. Am unteren Rand der Seite war ein Prompt, mit dem er entweder zur nächsten Seite mit sechsunddreißig Fotos gehen oder zu jeder beliebigen der achtundvierzig anderen Seiten mit Girl-Girl-Fotos springen konnte.
Pierce sah die Thumbnails der ersten Seite durch. Auf allen Fotos waren zwei oder mehr Frauen abgebildet, keine Männer. Die Models waren bei allen möglichen sexuellen Handlungen und Bondageszenen abgelichtet, immer eine dominante Frau mit einer unterwürfigen Gespielin. Obwohl die Fotos klein waren, nahm er sich nicht die Zeit, jedes anzuklicken, um es zu vergrößern. Er nahm ein Vergrößerungsglas aus einer Schreibtischschublade, beugte sich damit über den Bildschirm und arbeitete sich auf der Suche nach Lucy und Lilly rasch durch die Aneinanderreihung von Fotos.
Auf der vierten der sechsunddreißig Seiten stieß er auf eine Serie von mehr als einem Dutzend Aufnahmen von Lucy und Lilly. Auf jedem Foto spielte Lilly die Dominante und Lucy die Unterwürfige, obwohl Lucy deutlich größer war als die winzige Lilly. Pierce vergrößerte eines der Thumbnails, und das Foto nahm den ganzen Bildschirm ein.
Den Hintergrund bildete eine allem Anschein nach gemalte Burgmauer. Offensichtlich ein Verlies. Der Boden war mit Stroh ausgelegt, und auf einem Tisch brannten Kerzen. Lucy war nackt und mit Handschellen, die für das mittelalterliche Ambiente etwas neu und glänzend aussahen, an die Wand gekettet. Lilly stand in dem für eine Domina anscheinend unerlässlichen schwarzen Lederoutfit vor ihr und hielt eine brennende Kerze schräg über sie, sodass das heiße Wachs auf Lucys Brüste tropfte. Lucys Gesichtsausdruck, nahm Pierce an, sollte sowohl Schmerz wie Ekstase widerspiegeln. Verzückung. Lillys Miene war eine Mischung aus strenger Anerkennung und Stolz.
»Oh, Entschuldigung. Ich dachte, Sie wären schon gegangen.«
Pierce drehte sich um und sah Monica zur Tür herein kommen. Als seine Sekretärin kannte sie die Kombination seiner Bürotür, weil er oft im Labor war und sie manchmal auch in seiner Abwesenheit Zutritt dazu haben musste. Sie legte einen Stapel Post auf seinen Schreibtisch.
»Sie haben gesagt, Sie würden nur –«
Sie verstummte, als ihr Blick auf den Bildschirm fiel. Ihr Mund öffnete sich zu einem vollkommenen Kreis. Pierce streckte die Hand nach dem Monitor aus und machte ihn aus. Er war froh, dass sein Gesicht verfärbt und voller Schrammen war. So konnte er seine Verlegenheit besser verbergen.
»Monica, hören Sie, ich –«
»Ist sie das? Die Frau, als die ich mich ausgeben sollte?«
Er nickte. »Ich versuche nur …«
Er wusste nicht, wie er ihr erklären sollte, was er tat. Er wusste selbst nicht recht, was er tat. Wegen des Vergrößerungsglases in seiner Hand kam er sich noch blöder vor.
»Dr. Pierce, mir gefällt mein Job hier, aber ich weiß nicht, ob ich noch länger als Ihre persönliche Assistentin arbeiten möchte.«
»Monica, nennen Sie mich nicht so. Und fangen Sie nicht schon wieder mit diesem Unsinn an.«
»Könnte ich bitte wieder als normale Sekretärin arbeiten?« Pierce nahm seine Sonnenbrille vom Monitor und setzte sie auf. Vor wenigen Tagen hatte er Monica noch loswerden wollen, jetzt brachte er es nicht über sich, in ihre missbilligenden Augen zu blicken.
»Monica, Sie können machen, was Sie wollen«, sagte er und schaute dabei auf den dunklen Bildschirm. »Aber ich glaube, Sie machen sich ein völlig falsches Bild von mir.«
»Danke. Ich werde mit Charlie reden. Und hier ist Ihre Post.«
Damit ging sie und zog die Tür hinter sich zu.
Pierce schwenkte weiter langsam auf seinem Sessel hin und her und starrte durch die dunkle Brille auf den Bildschirm. Das Brennen der Demütigung war bald verflogen, und Wut stieg in ihm auf. Wut auf Monica, dass sie nichts begriff. Auf die ganze Situation. Und vor allem auf sich selbst.
Er streckte die Hand aus, drückte auf die Taste, und der Bildschirm ging wieder an. Und da war es wieder, das Foto von Lucy und Lilly. Er studierte das auf Lucys Haut erkaltete Wachs, einen erstarrten Tropfen, der
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