Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
tiefer runter. Wir lassen die Zweite Welt hinter uns und wechseln in die Erste. Mit ein bisschen Glück sind wir zwischen den anderen Erstweltlern nicht so leicht aufzuspüren.«
Jack sah ihn zweifelnd an. »Mit ein bisschen Glück?«
Davey zuckte mit den Schultern. »Ist das Beste, was ich im Moment zu bieten habe.« Er zog eine Münze aus der Tasche. Sie funkelte im Morgenlicht, und ein geflügelter Löwe war in ihre goldene Oberfläche geprägt. Davey warf sie hoch in die Luft. Sie trudelte mit einem leisen Klatscher ins Wasser.
»Also dann, rein mit uns«, sagte Davey und trat auf den Brunnenrand. Das Wasser schimmerte auf und ein ätherisches Glühen schwappte über seine Oberfläche. Davey sprang in den Brunnen, stürzte sich in sein flaches Wasser – und war verschwunden!
Verblüfft sah Jack sich um, weil er damit rechnete, dass das außergewöhnliche Geschehen die Blicke der sonst so unaufmerksamen Pendler auf sich gezogen hatte. Er fragte sich kurz, wie es kam, dass solche seltsamen Sachen unbemerkt blieben. Dann stieg er auf den Brunnenrand und spähte ins Wasser. Der Grund des Beckens war deutlich zu erkennen. Das Wasser war höchstens einen halben Meter tief; trotzdem fehlte von Davey jede Spur. Vielleicht hatte er ihn ja schon wieder im Stich gelassen.
Jack sah sich suchend auf dem Platz um, zwischen den Autos, die endlos durch den Kreisverkehr strömten; er war ein Unbekannter mitten im Stadtzentrum und niemand achtete auf ihn.
Die Wunder dieser vergangenen Zeit und die Aufregung während der Verfolgungsjagd hatten seinen Drang, nach Hause zurückzukehren, beiseitegeschoben. Sein Kopf war wirr und voller Zweifel, doch irgendwo tief in seinem Innern hatte sich eine Idee entwickelt, eine so schädliche und verlockende Idee, dass er sie kaum zu durchdenken wagte. Wenn er durch Tränentunnel reisen konnte, wenn er wirklich in der Vergangenheit leben konnte, dann konnte er doch vielleicht, ins Jahr 2008 zurückkehren, in die Zeit, als seine Mutter noch gelebt hatte. Vielleicht, dachte er, könnte ich Mum wiedersehen. Er schüttelte den Kopf. Die Idee war ebenso beunruhigend wie aufregend. Und trotzdem, wenn er Davey folgte, wenn er seinem wenig vertrauenswürdigen Großvater folgte, wenn er sich voll auf dieses gefährliche Abenteuer einließ, dann konnte sich diese Hoffnung doch vielleicht erfüllen.
Er schob die Überlegung beiseite und sah wieder in das schimmernde Wasser, dann holte er tief Luft und sprang in das eiskalte Wasser. Fast im selben Moment trafen seine Füße hart auf festen Boden, und er rollte sich in Sägemehl ab. Er befand sich in einem niedrigen kreisrunden Raum. Verzierte Säulen am Außenrand trugen eine wunderschöne De cke aus Stein, und über ihm war eine große Öffnung, die dem Umfang des Brunnens entsprach. In der Mitte der Öffnung ragte eine breite Säule aus gemeißeltem Stein und Metall empor, auf der oben die Statue stand. Sie durchschnitt die Wasseroberfläche, die wie ein auf dem Kopf stehender Teich dort oben hing. Jack stand auf und streckte seine Hand danach aus; er spürte Kälte und Wellen breiteten sich aus.
»Wasser«, sagte Davey. »Es ist bloß Wasser.«
Jack drehte sich zu ihm um; das Dämmerlicht ergoss sich in einem tanzenden Fleckenmuster über ihn. Er sah voller Staunen auf seine Kleidung hinab. »Aber wir sind nicht nass.«
Davey grinste. »Raffiniert, stimmt’s?«
»Wo sind wir?«
»Das ist der Brunnen von Anteros«, sagte Davey begeis tert. »Ein Kreuzungspunkt. Eine Geheimtür. Das Wasser dient als Sperre; wenn man den richtigen Schlüssel hat, lässt es einen durch.«
»Die Münze?«
»Ist der Schlüssel gewesen, ja. War eine aus der Ersten Welt.«
»Ist das Magie?«
»Wissenschaft. Keine Ahnung, wie das funktioniert.« Da vey zuckte mit den Schultern. »Aber irgendjemand hat es mal ausgetüftelt. Diese Dinger wurden als Übergänge zwischen der Ersten und Zweiten Welt gebaut. Es gibt Dutzende von Kreuzkammern, über ganz London verteilt. Viele davon sind inzwischen geschlossen, jedes Jahr werden es mehr.«
»Sind wir denn immer noch in London?« Jack fragte sich, ob es in seiner Gegenwart auch noch solche Kammern gab.
Davey schüttelte den Kopf. »Wir sind darunter. Ungefähr sechs Meilen tief, wenn ich mich recht entsinne. Wir sind ganz in der Nähe von Aldwych, der Hauptstadt der Ersten Welt.«
»Kann uns jemand folgen?«
»Die Tür wird sich gleich schließen, aber die Paladine kön nen unsere Spur trotzdem noch aufnehmen. Darum
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